Die unterschiedlichen strukturellen Entwicklungen der Kommunen fördern die Konkurrenz.

Stuttgart - Regionen und Städte werden künftig um jeden Einwohner und Arbeitsplatz buhlen, glaubt Professor Dr. Richard Peschl. Die Zukunft sieht der Stadtplaner und Stadtsoziologe deshalb auch in interkommunalen Kooperationen. „Die Kommunen tun sich mit Zusammenschlüssen derzeit allerdings noch sehr schwer”, ist die Erfahrung des Experten. Er glaubt, dass die Kommunen erst einmal im Alleingang versuchen werden, den Strukturwandel für sich zu entscheiden.

 

Die demografische Entwicklung könnte diesen Prozess zugunsten der größeren Kommunen beschleunigen. Denn die Stadt ist beliebt. Zum Arbeiten wie zum Wohnen. Heute ist die städtische Lebensform die am schnellsten wachsende weltweit. Dieser als Urbanisierung bezeichnete Trend fordert auch von den Kommunen in der Region Stuttgart, sich bei Fragen der Stadtentwicklung verstärkt mit den globalen Trends der Bevölkerungsentwicklung, des Strukturwandels in der Wirtschaft und den ökologischen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Reschl, der an der Hochschule für Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg und an der Hochschule für Technik in Stuttgart lehrt, sieht die Region dabei im Vergleich zu anderen Metropolen auf der Welt zwar nicht in der ersten Liga, mit 179 Städten und 2,67 Millionen Einwohnern sei die Region Stuttgart aber durchaus eine respektable Größe, so Reschl kürzlich auf dem zweiten Investorenforum in Esslingen.

Für den Stadtplaner sind die Städte längst der Dreh- und Angelpunkt. Sie nähmen zwar von der Fläche insgesamt nur einen kleinen Teil ein, hier lebe aber schon heute fast die Hälfte der Bevölkerung. Und dieser Trend werde zunehmen, ist sich der Stadtplaner sicher, wenn sich die Städte als kompakte, nutzungsbedingte Einrichtungen weiterentwickeln. Andererseits zeigten aber auch Konflikte wie zum Beispiel um Stuttgart 21 , dass mit Städten und Stadtentwicklung auch Identität verbunden werde. Das mache aber auch deutlich, dass die Strukturen einer Stadt dabei die eigentliche Basis menschlicher Zivilisation seien, so Reschl. Wer die Stadt hingegen als Auslaufmodell ansieht, werde angesichts der aktuellen Entwicklung längst eines Besseren belehrt. „Die Lobby für die Stadtbevölkerung wird immer größer”, will der Stadtplaner entdeckt haben, und auch die Trends bei der Bevölkerungsentwicklung, dem Strukturwandel und den ökologischen Herausforderungen deuteten darauf hin, dass die metropolen Regionen weiter gestärkt würden. Diese Entwicklung zeige aber auch, dass wir in einer zweigeteilten Republik leben, in der die Ausdünnung ländlicher Bereiche längst nicht mehr nur für die östlichen Bundesländer gelte. Auch in Baden-Württemberg gebe es einen Trend zur Entleerung ländlicher Räume.

Leben auf dem Land wird teurer

Diese Entwicklung, da ist sich der Stadtplaner sicher, wird auch bei uns weiter fortschreiten. Mit fatalen Folgen für den ländlichen Raum: „Außerhalb der metropolen Räume wird das Leben sehr teuer werden, weil die Wege zum Kindergarten, zur Schule und in den Supermarkt weiter werden”, glaubt der Stadtsoziologe. Vor allem dann, wenn der Bevölkerungsrückgang wie prognostiziert auch das Land trifft. „Diese Entwicklung wird sich sicher nicht gleichmäßig auf das Land verteilen. Wir haben es hier mit einer sehr differenzierten strukturellen und raumbezogenen Entwicklung zu tun”, sagte Reschl vor rund 200 Immobilienexperten in Esslingen. Allerdings scheint heute schon klar zu sein, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen vor allem jene treffen könnten, die einst ihr Eigenheim abseits der metropolen Räume erstellten. Wer etwa altersbedingt zum Verkauf gezwungen sein sollte, werde wohl Abstriche machen müssen, ist sich der Stadtplaner sicher.

Strukturwandel fordert seinen Tribut

Auch der Strukturwandel in der Wirtschaft fordert seinen Tribut. Während Forschung, Entwicklung und Dienstleistungssektor in den Städten weiter prosperieren, geht die traditionelle Industrie weiter zurück. Diese strukturellen Entwicklungen werden nach Ansicht von Richard Reschl auch dazu führen, dass die Standortkonkurrenz zwischen den Regionen und den Städten deutlich zunehmen werde. „Es wird künftig um jeden Einwohner und um jeden Einwohner Konkurrenz geben.” Auch der Umgangston der Kommunen untereinander werde in den kommenden Jahren an Schärfe zunehmen, ist sich Reschl sicher.

Der Stadtplaner und Stadtsoziologe sieht in der Reurbanisierung aber auch eine ökologische Herausforderung für die Kommunen. Anstelle von Flächenverbrauch sehe er künftig Flächeninanspruchnahmen, bei denen es viel häufiger Mischformen zwischen Wohnen, Gewerbeentwicklungen und Freizeitnutzungen in den Städten geben werde. Derzeit sei man aber von einer effizienten Flächennutzung noch weit entfernt. So liege allein in Baden-Württemberg der tägliche Flächenverbrauch noch bei sieben Hektar. Stadtplaner wie Richard Reschl sehen in der Innenentwicklung erhebliches Potenzial. Einer Studie zufolge sollen die innerstädtischen Flächenpotenziale allein in der Region Stuttgart zwischen 1900 und 2200 Hektar liegen. Das entspricht etwa eine Fläche von 3100 Fußballfeldern, erklärt der Stadtsoziologe.

Mehr als nur traditionelle Wohnformen gefordert

Um diese Flächen aber sinnvoll zu entwickeln, müsse noch deutlicher auf die städtebauliche Qualität der Gewerbebauten geachtet werden, als dies früher immer möglich war. Andererseits erwarten die neuen Bewohner der Städte nicht nur traditionelle Wohnformen. Im Zuge einer Innenstadtentwicklung müssten künftig auch differenzierte Wohnangebote bereitgestellt werden. Für Reschl zählen dazu Mehrgenerationenhaus-Konzepte genauso wie Modelle, bei denen Wohnen und Arbeiten unter einem Dach miteinander verbunden werden wie das Wohnen in Lofts, oder sogenannte gestapelte Einfamilienhäuser.

Der Stadtplaner räumt aber auch ein, dass bei der Planung innerstädtischer Potenziale oft auch im Zusammenspiel von Architektur, Nutzung und Wirtschaftlichkeit Fehler gemacht wurden. Oft wurden schöne Projekte auf dem Papier entwickelt, die sich nachher nicht rechneten. Besser sei es, wenn Architekten, Planer und Investoren von Anfang an gemeinsam an ein Projekt herangehen. Dabei sollten aber weder Investoren noch Kommunen die jeweils andere Seite mit ihren Vorstellungen überfordern, mahnt Reschl. Die Stadt rechne sich nur in ihrer ganzen Vielfalt, und das gelinge nur im Zusammenspiel aller Beteiligten.