Gerade bei der Zeitsouveränität hat daher so mancher Beobachter Zweifel, ob sie die Mehrheit dieser "flexibilisierten" Arbeitnehmer tatsächlich besitzt: "Viele durchschauen die Problematik nicht, denken, sie könnten zu Hause viel abarbeiten und mal zwischendurch joggen oder einkaufen gehen", sagt Michael Kastner, Professor für Organisationspsychologie an der Universität Dortmund. "Ihnen ist nicht bewusst, dass es durch die Flexibilisierung schwieriger wird, Beruf und Freizeit zu trennen, abschalten zu können." Die ständige Verfügbarkeit erzeugt Stress. Daher ist die Arbeitszeitflexibilisierung für Kastner letztlich "ein zweischneidiges Schwert".

Arbeitswissenschaftler sind sich darüber einig, dass Menschen, in deren Leben es ständig fließende Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit gibt, sich an die ständige Verfügbarkeit per Handy oder E-Mail gewöhnen, ohne vor den negativen Begleiterscheinungen gefeit zu sein. "Man fühlt sich wichtig, empfindet die ständige Erreichbarkeit womöglich gar als persönliche Bauchpinselei", so Kastner. Wenn so jemand sein Mobiltelefon ausschalten müsse, würde er sich schlichtweg unwohl fühlen.

Jan Rauwerdink, selbstständiger Projektmanagement-Coach, hat schon so manch abstruse Situation erlebt, die die Illusion einer Zeitsouveränität widerspiegelt. "Dass Teilnehmer während einer Besprechung nebenher Mails am Notebook beantworten, ist ja schon fast ein vertrautes Bild", kritisiert er. "Damit brüskiert man aber das Team, weil es anscheinend Wichtigeres zu tun gibt, als an dieser Besprechung teilzunehmen." Rauwerdink musste auch schon erleben, wie ein Teilnehmer eines Seminars in einer Pause sich mit ihm unterhielt, aber nebenbei mehrfach das Handy aus der Hosentasche zog und es kurz ans Ohr hielt, bevor er es wieder verschwinden ließ. "Auf Nachfrage erklärte mir mein Gesprächspartner, dass er gerade an einer Telefonkonferenz teilnehme, diese aber nicht so wichtig sei", erzählt Rauwerdink. Mancher sei sogar noch stolz darauf, wie viele Dinge er gleichzeitig machen könne. "Dabei haben wissenschaftliche Untersuchungen doch längst gezeigt, dass dem Menschen sowohl bei der Zahl der parallel ausführbaren Tätigkeiten als auch bei der Zeitspanne, die er konzentriert arbeiten kann, relativ enge Grenzen gesetzt sind."