Die Stadt Stuttgart hat sich mit der Württembergischen Gemeindeversicherung und mit Ravensburg auf einen Kompromiss im Gewerbesteuerstreit geeinigt. Die Stadt erhält eine Nachzahlung von 33 Millionen Euro und darf in den nächsten zehn Jahren 36 Millionen Euro erwarten.

Stuttgart - Der Stuttgarter Gemeinderat hat am Donnerstag einer sogenannten Zerlegungsvereinbarung mit der Stadt Ravensburg und der Württembergischen Gemeindeversicherung (WGV) zugestimmt. Am kommenden Dienstag wird die Vereinbarung von allen Beteiligten in Stuttgart offiziell unterschrieben. Damit ist die Auseinandersetzung über die gerechte Aufteilung des Gewerbesteueraufkommens in der 2002 gegründeten WGV Holding AG beendet, ein Rechtsstreit mit den Finanzbehörden einvernehmlich beigelegt und vorerst Klarheit geschaffen. Die Angelegenheit steht im Zusammenhang mit dem Standort der WGV Holding, die 2005 ihren Sitz von Stuttgart nach Ravensburg verlegt hat. Seitdem war die komplette Gewerbesteuer dorthin abgeführt worden und Stuttgart leer ausgegangen.

 

Mit der Vereinbarung sichert sich die Landeshauptstadt für die Jahre 2005 bis 2014 nun doch noch einen Anteil von 44,8 Prozent an der WGV-Gewerbesteuer. Für 2015 bis 2024 erhöht sich der Anteil sogar auf 55,2 Prozent, weil man Ravensburg so die Hälfte seiner Schuldzinsen von 2,6 Millionen Euro erlassen kann. Die andere Hälfte muss die Kommune dann über sechs Jahre hinweg abstottern.

Der Nachzahlunganspruch beträgt 33 Millionen Euro

Aus dem Kompromiss ergibt sich für Stuttgart ein Nachzahlungsanspruch von etwa 33 Millionen Euro (inklusive Zinsen), zudem darf die Stadt in den nächsten zehn Jahren mit weiteren 36 Millionen Euro Gewerbesteuerzahlungen rechnen. „Ich freue mich, dass wir eine schwierige Auseinandersetzung einvernehmlich und mit einem für Stuttgart guten Ergebnis abschließen konnten“, sagte Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU). Die Stadt Ravensburg will sich nicht vor Dienstag öffentlich äußern.

Für die Oberschwaben sind die Auswirkungen gravierend: Sie müssen der WGV 24,6 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen – plus 5,2 Millionen Euro Zinsen, die sich, anders als Steuermindereinnahmen, nicht entlastend auf diverse Umlagen auswirken. Und dies bei 35 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen pro Jahr. Die WGV kostet die Vereinbarung etwa sechs Millionen Euro, denn der Gewerbesteuerhebesatz ist in Ravensburg mit 350 Punkten niedriger als in Stuttgart (420).

Das Ravensburger Finanzamt hat Stuttgart auf null gesetzt

Anfang 2012 hatte das Finanzamt Ravensburg im Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung für den Zeitraum 2005 bis 2009 entschieden, das Gewerbesteueraufkommen der WGV-Versicherung AG (zu 100 Prozent zur Holding gehörend) wie folgt zu zerlegen: 100 Prozent Ravensburg, null Prozent Stuttgart. Den Einspruch der Stuttgarter Kämmerei, die bei Betriebsprüfungen oft dabei ist, wies das Finanzamt Ravensburg zurück, wogegen Klage beim Finanzgericht Stuttgart eingelegt wurde.

Es gab zwei mündliche Verhandlungen, aber kein Urteil, jedoch einen Gerichtsbescheid im November 2014, in dem offenbar von einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung im Oberschwäbischen ausgegangen wird. Er empfiehlt, Stuttgart rückwirkend einen Anteil an der WGV-Gewerbesteuer von 44,8 und der Stadt Ravensburg von 55,2 Prozent zuzugestehen. Der Bescheid hätte Rechtskraft erlangt, wenn keine Partei Einspruch eingelegt hätte, was jedoch geschah. Am Dienstag wäre es also zum Schwur gekommen. Zwischenzeitlich haben sich die Beteiligten aber außergerichtlich verständigt.

Föll verteidigt den Kompromiss

Föll verteidigt den Kompromiss und verweist auf die Risiken: Der Gerichtsbescheid hätte nur für die Jahre 2005 bis 2014 gegolten. Man hätte nicht erwarten können, in der Zukunft einen ähnlich hohen Anteil wie die bis 2024 vereinbarten 55,2 Prozent beanspruchen zu können. So hätte die WGV ihre Holding umgestalten können, das ist jetzt vertraglich ausgeschlossen. Und eine Klage vor dem Bundesfinanzhof, sofern sie überhaupt zugelassen würde, wäre mit einem großen Prozessrisiko verbunden. Womöglich hätte man mit null Prozent Anteil dagestanden.