Die Höhlenlandschaft des Ach- und Lonetals auf der Alb könnte bald zum Unesco-„Welterbe“ ernannt werden. Sollte die EnBW dort aber drei Windkraftanlagen wie geplant bauen, wird daraus nichts.

Öllingen - Jedes Jahr im Frühsommer lenkt die Unesco die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf bislang wenig beachtete Denkmäler und zeichnet herausragende Beispiel mit dem Titel „Welterbe“ aus. Auch Deutschland hat sich für 2017 wieder beworben, und in der Fachwelt betrachtet man den 900-seitige Antrag als Trumpfkarte. Denn dass die Höhlenlandschaft des Ach- und Lonetals auf der Schwäbischen Alb alle Bedingungen für den kulturellen Ritterschlag erfüllt, gilt als unstrittig. Ein „No-Brainer“ sei die Bewerbung, haben angelsächsische Archäologen ihren deutschen Kollegen versichert, also ein Selbstläufer. Schließlich wurden im Hohle Fels, im Geißenklösterle und anderen Kavernen der Karstlandschaft die ältesten Kunstwerke der Menschheit gefunden.

 

Auch als Ende August ein Vertreter des Internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS) die Albregion vier Tage lang im Auftrag der Unesco in Augenschein nahm, blieben die Fachleute um den Esslinger Archäologen Claus-Joachim Kind zuversichtlich. Allerdings hörten sie einen entscheidenden Einwand: Sollte die EnBW bei Öllingen, einem 500-Seelen-Dorf im Alb-Donau-Kreis, ihre Planungen umsetzen und drei turmhohe Windkraftanlagen bauen, kann Deutschland seine Bewerbung vergessen. Denn nördlich der Gemeinde liegt ein Höhlenkomplex, den schon die Neandertaler nutzten, und der zu den ergiebigsten Fundplätzen der Alb gehört. Die Bocksteinhöhle ist deshalb Teil der Bewerbung, die das Auswärtige Amt im Februar nach Paris schickte.

„Maßstabsverlust“

Windkraft oder Welterbe – beides zusammen geht offenbar nicht. Daran lässt das Stuttgarter Wirtschaftsministerium, die oberste Denkmalschutzbehörde im Land, keinen Zweifel. „Vom Gutachter der internationalen Denkmalschutzvereinigung Icomos wurde deutlich signalisiert, dass ein Windpark zur Ablehnung des Antrags führen würde“, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Denn die bis zur Rotorspitze fast 230 Meter hohen Industrieanlagen erfüllen eins zu eins die Ausschlusskriterien der UN-Kulturorganisation: „technische Überprägung, visuelle Dominanz und Maßstabsverlust“.

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Maßstabsverlust – dieses hässliche Attribut hat die Unesco der deutschen Öffentlichkeit schon einige Male vor Augen geführt. Im Zusammenhang mit dem Kölner Dom zum Beispiel, in dessen Sichtachsen mehrere Hochhäuser gebaut werden sollten. Oder im Zusammenhang mit der Waldschlösschenbrücke über das Elbtal vor den Toren der Dresdener Altstadt. Köln machte 2006 einen Rückzieher – aus Rücksicht auf den Welterbestatus der Kathedrale. Dresden blieb hart – und verlor 2009 den prestigeträchtigen Titel. Solche Analogien führen die Denkmalschützer nun auch bei dem Höhlen-Antrag ins Feld: Sollte der Windparkpark wie geplant 2018 fertig werden, so warnen sie, wäre der kaum errungene Titel schnell wieder zerronnen.

Warum erst jetzt?

Seit dem vergangenen Frühjahr schwelt nun dieser Konflikt, und je näher das neue Jahr rückt, desto nervöser werden alle Beteiligten. Denn die EnBW hat Mitte Oktober beim Landratsamt des Alb-Donau-Kreises einen offiziellen Antrag auf Genehmigung der Kraftwerke vom Typ Nordex N 131 gestellt, die 18 Millionen Euro kosten sollen. Der Energiekonzern bewegt sich dabei auf rechtlich stabiler Grundlage: „Die Fläche wurde von uns als Vorranggebiet ausgewiesen“, sagt Markus Riethe, Direktor des Regionalverbands Donau-Iller, der als bayrisch-baden-württembergische Planungsbehörde den Rahmen vorgegeben hat.

Ende vergangenen Jahres wurde dieser Plan rechtskräftig – nach einem langwierigen und umfangreichen Beteiligungsverfahren, zu dem auch die Denkmalschutzbehörden der beiden Länder ausführlich Stellung genommen haben. Eines wundert Riethe dabei: „Niemand hat jemals Einwände wegen des Antrags bei der Unesco unterbreitet, deshalb konnten wir die auch nicht berücksichtigen.“ Auch die Verantwortlichen bei der EnBW fielen offenbar aus allen Wolken: „Wir arbeiten seit Jahren an dem Projekt, da gab es keine Einwände“, sagt Sprecher Jörg Busse. Warum nicht? In der Denkmalschutzbehörde herrscht dazu dröhnendes Schweigen.

Der Spielraum ist gering

Um die Wogen zu glätten, kündigte der Konzern kürzlich an, im Fall einer Genehmigung – sie wird für Frühjahr erwartet – nicht sofort mit dem Bau zu beginnen. Busse: „Wir wollen erst abwarten, bis die Unesco entschieden hat.“ Und eigentlich hat man in der Konzernzentrale die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass beides am Ende miteinander vereinbar ist, Windkraft und Welterbe.

Doch der Spielraum dafür ist gering. Denn im Zentrum des Unseco-Antrags stehen weniger die 40 000 Jahre alten Elfenbein-Skulpturen wie die „Venus vom Hohle Fels“ oder das kleine Mammut als vielmehr die Landschaft, in der sie entstanden. Die herausragende kulturhistorische Eigenart der Höhlenumgebung ergebe sich aus deren Funktion als „Jagd-, Lager- und Siedlungsraum“ einer mobilen Jäger- und Sammlergesellschaft der späten Eiszeit, sagen die Fachleute. Bisher jedenfalls sei die Umgebungslandschaft der Höhlen frei von jeglicher Bebauung: „Die von der Unesco geforderte Authentizität und Integrität der Welterbestätten sind durch die ungestörten räumlichen Zusammenhänge gewährleistet.“

Der Blick aus der Höhle

Das Problem von Öllingen ist auch gar nicht, dass die Windräder das Motiv der Höhle beeinträchtigen. Bewahrt werden soll vielmehr der Blick aus den Felsen ins Freie: „Wenn man aus der Bocksteinhöhle guckt und sich in die Steinzeit zurückversetzen möchte, wird man tatsächlich gestört“, sagt Verbandschef Riehte. Und verwundert fügt er hinzu, seines Wissens sei im Denkmalrecht doch stets der Blick auf das Denkmal schutzwürdig.

Auch der Bürgermeister kann die Argumente der Denkmalschützer nicht nachvollziehen und äußert die Vermutung, diese hätten die Regionalplanung „schlicht verpennt“. Die Sache mit dem Blickfeld versteht er schon gar nicht. Von seiner Gemeinde aus könne man doch auch das Atomkraftwerk im bayerischen Gundremmingen sehen, sagt Georg Göggelmann: „Den Dampf sehen wir immer, und je nach Standort auch die Kühltürme.“ Die Windräder seien den Öllingern dann schon lieber. Und auch die Wahl zwischen Welterbe und Windkraft scheint ihm nicht schwer zu fallen: Während er sich vom Unesco-Etikett zusätzliche Kosten erwartet, erhofft er sich von den Kraftwerken einen guten Batzen Gewerbesteuer.

Das letzte Wort hat nun die Genehmigungsbehörde, das Landratsamt. Die verantwortlichen Beamten beißen sich aber eher auf die Zunge, als zu reden („ . . . laufendes Verfahren“). Das Wirtschaftsministerium ist da schon offener: „Wir gehen aufgrund der Rechtslage davon aus, dass die genehmigungsrechtlichen Vorraussetzungen nicht vorliegen.“