Konflikt der Metaller Streit um 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland eskaliert

Mitglieder der IG Metall demonstrieren Anfang 2018 vor den Werkstoren des Unternehmens Mahle Filtersysteme in Brandenburg für die 35-Stunden-Woche. Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland will die IG Metall nun Betrieb für Betrieb zwingen, die Arbeitszeit zu reduzieren.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen lassen die IG Metall und die Arbeitgeber der ostdeutschen Metall- und Elektro-Industrie den Konflikt um die Arbeitszeit Ost ausufern. Vorausgegangen war der Abbruch eines anderthalbjährigen Verhandlungsmarathons durch die Gewerkschaft. Nun strebt sie den sogenannten Häuserkampf an.

 

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Dazu werde erst geprüft, welche Unternehmen für eine intensive Auseinandersetzung um die Einführung der 35-Stunden-Woche in Frage kommen, sagt ihr Verhandlungsführer Olivier Höbel. Dann sollen die Arbeitgeber eine schriftliche Verhandlungsaufforderung erhalten. „Jetzt kommt es auf die Durchsetzungsfähigkeit der Belegschaften an“, betont der IG-Metall-Bezirksleiter in Berlin-Brandenburg-Sachsen. Bisher sind im Flächentarif Ost 38 Wochenstunden festgelegt.

Tarifvertrag „Future“ kann IG Metall nicht begeistern

Die achte Verhandlungsrunde am Montag war die letzte. „Dabei hatte sich in wesentlichen Eckpunkten eine Einigung abgezeichnet“, sagt der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Stefan Moschko. „Wir waren einer Lösung sehr nah, die den Einstieg in die 35-Stunden-Woche bedeutet und die den Betriebsparteien mehr Spielraum für Betriebe und Beschäftigte gegeben hätte, Arbeitszeiten betriebsindividuell zu gestalten.“ Dies hätte den Flächentarif im Osten gestärkt.

Konkret habe der Verhandlungsstand eine Absenkung der Arbeitszeit im Flächentarif auf 35 Stunden ebenso vorgesehen wie den Tarifvertrag „Future“ – eine Abkürzung für „Flächenlösung zur Unterstützung der Tarifbindung von Unternehmen sowie zur Regionalen Entwicklung“. Man sei sich einig gewesen, dass die Unternehmen mit freiwilligen Betriebsvereinbarungen in eine neue Tarifwelt wechseln könnten, so die Lesart der Arbeitgeber. Diese sehe eine schrittweise Senkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden vor, begleitet von Regelungen zum vorübergehenden Ausgleich der Mehrkosten und zur Sicherung des wegfallenden Arbeitszeit-Volumens. Doch habe die IG Metall „längst besprochene Punkte wieder zurückgezogen“, rügt Moschko. „Eine Lösung kann nicht von einer Seite diktiert werden, sondern muss ein akzeptabler Kompromiss sein.“ Zugleich betont er, weiterhin an einer Lösung im Flächentarif interessiert zu sein.

Fortschritte am Verhandlungstisch von Gesamtmetall torpediert?

Eine gegenteilige Sicht der Dinge vertritt der IG-Metall-Bezirksleiter Olivier Höbel. „Wir mussten am Ende erkennen, dass die Arbeitgeber offensichtlich unfähig waren, einen konstruktiven Ansatz durchzuhalten und belastbare Ergebnisse mit uns zu vereinbaren“, sagt er.

Ausgangspunkt der Verhandlungen war der Stuttgarter Tarifabschluss vom Februar 2018, nach dem eine sogenannte Gesprächsverpflichtung vereinbart wurde. Höbel berichtet von einer deutlichen Kompromissbereitschaft der Gegenseite über die vergangenen anderthalb Jahre. So wurde im November 2018 ein Eckpunktepapier unterzeichnet, das eine Lösung im Flächentarif für das erste Halbjahr 2019 einleiten sollte. Die Fortschritte seien aber immer vom Dachverband Gesamtmetall zunichte gemacht worden.

In der Folge wurden die Gespräche Ende Juni beendet. Doch wagten die IG Metall sowie die Arbeitgeber aus Berlin-Brandenburg und Sachsen am 25. September noch einen Einigungsversuch. Zwei Tage später gab die Tarifkommission der Gewerkschaft ihren Unterhändlern grünes Licht für ein weiteres Treffen – das aber am Montagabend zum endgültigen Scheitern führte.

Den von der Gegenseite präsentierten „Tarifvertrag Future“ nennt Bezirksleiter Höbel einen „Frontalangriff auf den Flächentarifvertrag in Ostdeutschland“. Darin sei das „klare Verlangen nach Arbeitszeitverlängerung bei gleichzeitiger Lohnkürzung enthalten“. Zudem wollten die Arbeitgeber die Hoheit über die Wochenarbeitszeit auf die Betriebsparteien verlagern. „Dies hätte eine Deregulierung des Flächentarifvertrags bedeutet.“

Im Westen wurden die 35 Stunden vor 35 Jahren erkämpft

Diese Position sei bis zum Ende nicht zurückgenommen worden. Darüber hinaus sei die zunächst bekundete Bereitschaft – am Ende eines über zehnjährigen Einführungszeitraums zum 1. Januar 2031 die verbindliche Einführung der 35-Stunden-Woche im Flächentarifvertrag zu garantieren – wieder einkassiert worden.

Im Westen ist die 35-Stunden-Woche seit 35 Jahren Fakt: Nach einem Arbeitskampf im Jahr 1984 wurde sie stufenweise bis zum Jahr 1995 eingeführt.

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