Eine von der baden-württembergischen CDU angestrebte Gesetzesinitiative für flexiblere Arbeitszeiten entzweit die Regierung. Denn die Grünen-Fraktion will den bisherigen Plänen des Koalitionspartners nicht folgen. Zwischen allen Stühlen sitzt der Ministerpräsident.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - De facto handelt es sich lediglich um einen Symbolstreit, weil über die Arbeitszeitgesetze nicht in Baden-Württemberg, sondern auf Bundesebene entschieden wird. Dennoch steht die Landesregierung infolge des Wunsches der CDU, eine Bundesratsinitiative zur Flexibilisierung der Arbeitszeit zu starten, wie selten zuvor unter Druck der gegensätzlichen Interessen von Wirtschaft und Gewerkschaften – mit der Folge, dass sich Grüne und Schwarze ineinander verkeilt haben und keine Einigung mehr in Sicht ist.

 

Dies ist am Mittwoch auch im Wirtschaftsausschuss des Landtags deutlich geworden. Die SPD-Fraktion hatte eine öffentliche Debatte beantragt mit dem Ziel, Transparenz in den Konflikt zu bringen. Doch ob, wann und worauf sich die Regierung einigen könnte, blieb offen. Auf dem Tisch liegt der Vorschlag von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), die eine tägliche Höchstarbeitszeit von zwölf statt bisher zehn Stunden pro Tag zulassen will. Überstunden sollen binnen sechs Monaten ausgeglichen werden. „Es geht nicht darum, die Menschen länger arbeiten zu lassen“, betont die Ministerin. Im Gegenteil: Die Wochenhöchstarbeitszeit solle im Gegenzug sogar von bisher 60 auf 54 Stunden verkürzt werden. Ihre Pläne sollen „Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen zugutekommen“.

Grünen gegen generelle Höchstarbeitszeit von zwölf Stunden

Dennoch hielt die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Andrea Lindlohr, dagegen: „Eine generelle Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden lehnt unsere Fraktion ab.“ Sie forderte mehr Flexibilisierungsmöglichkeiten für Tarif- und Betriebsparteien sowie mehr Arbeitszeitsouveränität des Einzelnen – ähnlich wie SPD-Chefin Andrea Nahles dies in früherer Funktion als Arbeitsministerin vormals angeregt hatte. Von deren Nachfolger Hubertus Heil erwartet Lindlohr einen Vorschlag, „mit dem wir uns gerne näher befassen werden“. Eile sieht anders aus.

Hoffmeister-Kraut kann bei Heil keine entsprechenden Aktivitäten feststellen und sucht daher weiter die Offensive. Mehrfache Nachfragen, welche Position die Regierung denn nun einnehmen werde, beschied die Ministerin freilich mit dem Hinweis: „Die Abstimmungsgespräche dauern an.“ Dem Vernehmen nach hat ihr Ressort den CDU-Vorschlag gegenüber Grünen-Abgeordneten einmal erläutert – von Verhandlungen, um den Dissens zu überbrücken, kann aber noch nicht die Rede sein. Offenbar zwischen allen Stühlen sitzt das Staatsministerium: Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist im Prinzip zwar auch für Veränderungen im Sinne der Wirtschaft, kann aber seine Fraktion davon noch nicht überzeugen. Das Wirtschaftsministerium ließ er auffordern, einen Kompromissvorschlag vorzulegen. Doch weil nicht erkennbar ist, was die Grünen mitsamt ihrem Regierungschef tatsächlich anstreben, gab es noch keine Antwort.

Somit setzt der Gewerkschaftsbund, der jegliche Lockerung des Arbeitszeitgesetzes ablehnt, alle Hoffnungen auf die Grünen-Fraktion. Landeschef Martin Kunzmann hat deren Spitze klargemacht, dass eine Bundesratsinitiative ein Rückschlag in den gegenseitigen Beziehungen wäre. Er erwartet nun, „dass die Grünen-Fraktion steht“. Und Verdi-Landesvorsitzender Martin Gross stellt eine „gewachsene Nachdenklichkeit“ bei den Grünen fest.

Neuer Schwung aus Nordrhein-Westfalen?

Dies spüren allerdings auch die Arbeitgeber Baden-Württemberg, die starre tägliche Höchstarbeitszeiten am liebsten beseitigen wollen und nun vor allem den größeren Koalitionspartner ins Visier nehmen. „Es bringt nichts, die Augen zu verschließen und zu behaupten, wir hätten derzeit hinreichende gesetzliche Möglichkeiten zur Arbeitszeitflexibilisierung“, mahnte Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick Anfang Februar in einem Brief an die Grünen, der unserer Zeitung vorliegt. „Wer das tut, verkennt die betrieblichen Realitäten und die Rechtslage.“ Tarifliche Regelungen seien nur in wenigen Ausnahmefällen möglich. Der CDU-Plan sei ein „wichtiger Vorstoß zu einer längst überfälligen Debatte“.

Unverhofften Schwung in den festgefahrenen baden-württembergischen Konflikt bringt ein Entschließungsantrag der nordrhein-westfälischen Regierung, am 15. Februar im Bundesrat über eine „Anpassung der Arbeitszeiten an die Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt“ zu befinden. Ziel von Schwarz-Gelb in Düsseldorf ist eine wöchentliche statt der werktäglichen Höchstarbeitszeit. Wie sich die Landesregierung in Stuttgart dazu verhalten wird – auch das ist bisher völlig unklar.