Moskau wird seine Soldaten in Syrien drastisch reduzieren. Das wird den Druck auf Diktator Assad merklich erhöhen und bedeutet einen Strategiewechsel.

Kairo - Der Kreml drückt aufs Tempo. Keine 24 Stunden nach Wladimir Putins überraschender Ankündigung, den Großteil der russischen Truppen aus Syrien abzuziehen, starteten am Dienstag die ersten SU-34-Kampfjets und Tu-154-Transportmaschinen zum Langstreckenflug zurück in ihre heimischen Fliegerhorsts. Exakt am fünften Jahrestag des Bürgerkrieges beendet Russlands Präsident den Einsatz auf dem syrischen Schlachtfeld, und zwar genauso abrupt, wie er ihn vor fünf Monaten begonnen hat. Nicht nur bei den Syriendelegationen in Genf, auch beim UN-Sicherheitsrat in New York sowie in Washington und den europäischen Hauptstädten rieb man sich verwundert die Augen. „Die Entscheidung des russischen Präsidenten – das ist ein positiver Schritt. So etwas sehen wir gerne“, erklärte Angolas UN-Botschafter Ismael Gaspar Martins, dessen Land momentan den Vorsitz beim Weltsicherheitsrat führt. US-Außenminister John Kerry kündigte an, in der kommenden Woche nach Moskau zu reisen, um Gespräche über den Teilabzug russischer Truppen aus Syrien zu führen. Geplant seien Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie Außenminister Sergej Lawrow.

 

Der UN-Syrienvermittler Staffan de Mistura sprach von einer „bedeutenden Entwicklung“, die die Suche nach einer politischen Lösung positiv beeinflussen könne. Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, sollte der russische Truppenabzug umgesetzt werden, „erhöht das den Druck auf das Regime von Präsident Assad, in Genf endlich ernsthaft über einen friedlichen politischen Übergang zu verhandeln“. Entsprechend einsilbig reagierte die Führung in Damaskus. Präsident Assad habe mit Putin telefoniert und dem Truppenabzug zugestimmt, hieß es Stunden später gequält in einer Erklärung, die mit dem Satz endete: „Russland und Syrien kämpfen unverändert und gemeinsam gegen den Terrorismus.“ Doch trotz dieser Harmonierhetorik knirscht es zwischen den beiden ungleichen Verbündeten schon seit Längerem. Verwundert registrierte der Kreml die letzten Interviews des Diktators im Februar, in denen er vollmundig ankündigte, seine Armee werde nun das ganze Land „ohne Zögern“ zurückerobern.

Ein provokanter Auftritt des syrischen Ministers

Den letzten Ausschlag für Putin gab offenbar der provokante Auftritt von Syriens Außenminister Walid al-Moallem in Genf, der die Zukunft von Staatschef Assad zur „roten Linie“ erklärte und jegliche Vereinbarungen über eine Präsidentenwahl kategorisch ablehnte. Moskau dagegen hat sich längst mit einem absehbaren Ende der Assad-Ära arrangiert und weiß, dass der syrische Diktator irgendwann in den 18 Übergangsmonaten das Feld räumen muss. Bereits 2012 war Putin bereit, wie der frühere UN-Syrienvermittler Lakhdar Brahimi kürzlich bestätigte, Assad zum Rücktritt zu drängen. Doch die UN-Vetomächte USA, Frankreich und Großbritannien winkten ab, weil sie glaubten, dessen Sturz stünde sowieso unmittelbar bevor.

Drei Jahre später, Ende 2015, versuchte Putin es erneut und schickte einen hochrangigen General nach Damaskus. Er sollte den Diktator zum Rücktritt drängen, den Alawiten das Überleben ihres Regime garantieren und von den syrischen Machthabern fordern, mit der moderaten Opposition „realistisch“ zu verhandeln – ein Ansinnen, das die Assad-Clique ablehnte. Putin aber denkt über die Zeit nach Assad hinaus. Um die russischen Interessen zu wahren, braucht er eine Stabilisierung von Restsyrien im Westen des Landes sowie ein konstruktives Verhältnis zu einer möglichen Post-Assad-Führung. Seit sowjetischen Zeiten unterhält Russlands Marine im syrischen Tartus einen Stützpunkt. Mit der jüngsten Militäroffensive kam die Luftwaffenbasis Hmeimim nahe Latakia hinzu. Sie soll in reduzierter Form bestehen bleiben. „Unsere Militärpräsenz dort hat zum Ziel, den Waffenstillstand und das Ende der Kämpfe zu garantieren“, erklärte Russlands UN-Botschafter Vitaly Churkin.

Mindestens 800 Russen bleiben stationiert

Die USA schätzen, dass 3000 bis 6000 russische Soldaten in Syrien sind. Auch habe Moskau mehr als 50 Flugzeuge und Hubschrauber in Hmeimim. Der Leiter des Verteidigungsausschusses im russischen Parlaments, Vikor Oserow, sagte, es würden mindestens 800 russische Soldaten zum Schutz der russischen Stützpunkte Tartus und Hmeimim in Syrien benötigt.