Konflikt vor Arbeitsgericht Stuttgart Bosch-Betriebsrat kämpft um seinen Ruf

Karsten vom Bruch liefert sich seit 2018 eine juristische Auseinandersetzung mit einem Weltkonzern. Foto: Matthias Schiermeyer

Der frühere Entwicklungsingenieur Karsten vom Bruch muss sich erneut vor dem Arbeitsgericht einer fristlosen Kündigung erwehren. Deutlich wird: Es geht um mehr als eine Pflichtverletzung des seit Langem unbequemen Arbeitnehmervertreters.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Mann gibt sich unbeugsam. Auch die Aussicht auf eine stattliche Abfindung, zu der sein früherer Arbeitgeber Bosch in diesem Ausnahmefall wohl bereit wäre, bringt ihn nicht zum Einlenken. „Ich möchte meinen Ruf wiederhergestellt sehen, der vorsätzlich beschädigt worden ist – da ist das Geld zweitrangig“, sagt Karsten vom Bruch vor dem Arbeitsgericht Stuttgart.

 

Da mag der Richter Markus Schwipper noch so drängen: Es sei sinnvoll, eine vernünftige Lösung zu suchen – ohne das Risiko, am Ende „mit null (Euro) rauszugehen“. Wie er seiner Frau und den vier Kindern erklären wolle, dass dies eine „Never-ending-story“ sei? Auch der Arbeitgeber zeigt sich bereit zum Vergleich, nicht jedoch der gekündigte Entwicklungsingenieur und Betriebsrat. Das Unternehmen habe ganz massiv seine „Würde angegriffen“ – dies will er zunächst korrigieren.

Eine Auseinandersetzung ohne echte Gewinner

Seit mehr als drei Jahren liefern sich Bosch und vom Bruch eine juristische Schlacht, die nur Verlierer kennt. An diesem Dienstag muss sich der 53-Jährige zum zweiten Mal einer Kündigung erwehren. Nun geht es um den Vorwurf, im Dezember 2018 einige Stunden lang Teile der Prozessakten aus dem ersten Verfahren diversen Mailadressaten bekannt gemacht zu haben. Darin sieht Bosch, wie dessen Anwalt Christian Arnold sagt, eine „massive Pflichtverletzung“ und „Störung des Betriebsfriedens“, weil die Persönlichkeitsrechte anderer Mitarbeiter verletzt worden seien – zudem einen „erheblichen Verstoß gegen das Datenschutzrecht“. Auch der Richter lässt zu Beginn erkennen, dass er dieser Einschätzung zuneigt. Vom Bruch bestreitet nicht, die Dateien in eine Dropbox gestellt zu haben und den Link an „sieben bis acht Leute“ über den Standort Feuerbach hinaus verschickt zu haben. Es tue ihm leid, wenn er dabei Persönlichkeitsrechte missachtet habe. Heute würde er dies heute nicht mehr so machen. Allerdings habe er gleich die Personalabteilung und den Betriebsrat darüber informiert und die Dateien nach der Beanstandung sofort gelöscht.

Im Kern sei es ihm darum gegangen, den im ersten Kündigungsschutzverfahren erhobenen Vorwurf, er hätte Mitarbeiterinnen in Feuerbach durch Blicke in die Damenumkleide sexuell belästigt, zu entkräften. Er wollte auch andere Kollegen auf Widersprüche in der Argumentation der Arbeitgebervertreter aufmerksam machen. Denn „diese Vorwürfe bestreite ich bis heute“, sagt vom Bruch. „All dies hat sich so nie abgespielt.“

Auch den Bosch-Chef auf Missstände hingewiesen

Die erste fristlose Kündigung wegen einer Bedrohung der früheren Personalleiterin in Feuerbach sowie wegen der angeblichen Belästigung der Kantinen-Frauen hatte das Arbeitsgericht im Dezember 2018 noch bestätigt. Das Landesarbeitsgericht sah dies im Januar 2020 anders: vom Bruch hätte zunächst abgemahnt werden müssen – die Kündigung sei unwirksam.

Auch wenn Bosch einen Zusammenhang bestreitet, so geht die Vorgeschichte lange zurück: Schon bevor der Abgasskandal ausbrach, hatte der Entwickler in der Abgasnachbehandlung erkannt, dass die meisten Dieselfahrzeuge trotz legaler Software auf der Straße viel höhere Emissionen aufweisen als auf dem Rollenprüfstand. Auch Bosch-Chef Volkmar Denner hat er in einer Mail von Oktober 2015 auf die Missstände in einer Mail hingewiesen. „Heute ist es außerhalb realitätsferner Testzyklen legal möglich, gegen die eigentlich angestrebten Umweltschutzziele zu verstoßen – sei es aus Kostengründen oder zugunsten des Fahrspaßes“, schrieb er.

Der Betriebsrat hat ihn fallen lassen

Der Unbequeme suchte aber auch das große Forum und gründete im Bosch-Intranet die Plattform „Zukunftsschwärmer“ mit später 1700 Mitgliedern. Als Rebell habe er sich nie gesehen. „Ich habe Dinge angesprochen, die eigentlich allen, die es anging, bekannt waren – das habe ich intern gemacht und nicht nach außen getragen.“ Dass die Sicht aller heute eine andere ist, sieht er nicht als Grund zur Genugtuung: „Die Situation ist so, wie ich sie befürchtet habe – warum sollte ich einen Triumph empfinden?“. Zeitweise habe es sogar Verfechter seiner Ideen in der Geschäftsführung gegeben. Heute gilt er wohl nur noch in seinem Anhängerkreis als Aufklärer, bei Führungskräften hingegen eher als Quertreiber – da hinterlässt der Dauerstreit seine Spuren.

Zu den vielen Facetten gehört, dass vom Bruch seit 2006 Mitglied des Betriebsrats ist und bei der Wahl im April 2018 trotz der Kündigung wiedergewählt wurde – mit 1316 Stimmen kam er auf den 28. von 39 Plätzen. Dennoch hat der Betriebsrat ihm die kalte Schulter gezeigt und den Kündigungen zugestimmt. Die IG Metall wiederum, der er nach wie vor angehört, zeigte sich voll auf Linie des Gremiums. Die Gewerkschaft versage ihm nicht nur eine moralische Unterstützung – sie lasse auch alle seine Anfragen ins Leere laufen, klagt vom Bruch. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die IG Metall ihm Rechtsschutz gewährt und bisher sämtliche Prozesskosten bezahlt hat.

Unternehmen sieht keinen Whistleblower-Status

Zeitweise hat der vierfache Vater von Hartz IV gelebt. Mittlerweile hat er eine eigene Firma namens Zukunftsschwärmer gegründet, versucht mit Ingenieur- und Innovationsberatung Fuß zu fassen. Und er hält Vorträge. „Es wäre schön, wenn ich davon leben könnte.“ Klar ist ihm: Ein vergleichbarer Job bei einem anderen Arbeitgeber dürfte ihm versperrt bleiben.

Bosch mag keinen Kommentar abgeben – außer dass man auf Fehlverhalten von Mitarbeitern unabhängig von Status, Rolle oder Funktion reagieren müsse, wie ein Sprecher sagt. Die Diesel-Thematik sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Ohnehin habe die Unternehmensprüfung ergeben, dass vom Bruch „kein Whistleblower ist, der aufgrund eines Hinweises auf mögliche Missstände – insbesondere die Abgasthematik – benachteiligt wurde“.

Der Betriebsrat und die IG Metall Stuttgart halten sich auf Anfrage bedeckt. So hoffen alle auf ihre Weise, dass das Ungemach vorbeiziehen möge. Richter Schwipper will bald ein Urteil verkünden. Der Nervenkrieg kann sich also noch Tage oder Wochen hinziehen – sofern er nicht erneut in die nächsthöhere Instanz geht.

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