InterviewKonflikte in Leinfelden-Echterdingen „Eine Stadt, die sich nicht streitet, lebt nicht“

In Leinfelden-Echterdingen brachte das zurückliegende Jahr viel Zwist mit sich. Wie viel Streit erträgt eine Stadt? Der Oberbürgermeister Roland Klenk kontert im Interview mit einer Gegenfrage.
Leinfelden-Echterdingen - Musberg ist gespalten wegen des Ringerstreits, der es bereits zu bundesweiter Bekanntheit geschafft hat. Das ist aber nicht der einzige Zwist, der die Stadt Leinfelden-Echterdingen im vergangenen Jahr in Atem gehalten hat. Auch um die geplante Moschee in Oberaichen wird heftig debattiert. Im Interview spricht der Oberbürgermeister Roland Klenk über die Streitkultur und die Folgen in seiner Stadt.
Ringerstreit, Moscheestreit – Herr Klenk, 2019 konnte man den Eindruck gewinnen, dass es recht konfliktbeladen zuging in der Stadt. Was ist denn gerade los?
Gegenfrage: Welche Konflikte fallen Ihnen noch ein, außer den beiden? Ich will dem Eindruck entgegentreten, dass unsere Stadt besonders konfliktbeladen ist. Eine Stadt, die sich nicht streitet, lebt nicht. Insgesamt haben wir eine konstruktive und angenehme Atmosphäre im Gemeinderat und in der Bürgerschaft.
Trotzdem, ohne die beiden Streits wäre Ihr Alltag sicher angenehmer. Sind Sie noch gerne Oberbürgermeister dieser Stadt?
Ja natürlich. Obwohl mir beide Themen große Sorgen bereiten. Insbesondere beim Ringerstreit bin ich immer wieder am Ende meines Lateins. Der Streit hat sich über Jahre hinweg entwickelt. Die Beteiligten stehen sich in einer persönlichen Härte gegenüber. Das macht es sehr schwierig.
Gibt es beim Ringerstreit etwas, wo Sie sagen, das hätten Sie lieber anders gemacht?
Ich bin keiner, der mit der Faust auf den Tisch haut. Die Abstimmung im Sommer 2018 unter den Musberger Sportlern war mein Versuch, den Konflikt demokratisch zu lösen. Und wir haben auch ein Machtwort gesprochen: Bürgermeister Kalbfell hat in einem Brief klargestellt, dass der Ringerraum dem TSV Musberg zur Belegung zugewiesen wird, mit der Auflage bis zur Olympiade 2020 Frank Stäbler zwei Abende und vier Vormittage dort trainieren zu lassen. Von dieser Regelung hat der Weltmeister aber nie Gebrauch gemacht.
Warum schmückt sich die Stadt nicht mehr mit dem Ausnahmetalent Stäbler?
Wir haben Frank Stäbler erst vor Kurzem auf der Messe als Teil unserer Stadt präsentiert. Er ist aber auch intensiver Bestandteil des Ringerstreits. Er ist einer der „Krieger“ – nicht nur auf der Matte.
Beim Moscheestreit stehen sich der Verein für Kultur, Bildung und Integration und die Stadt unversöhnlich gegenüber. Hatten Sie nie an eine Mediation gedacht?
Es gab Kompromissvorschläge, aber wir sind uns nicht einig geworden. Nun müssen ein paar Dinge geklärt werden, und Gerichte sind dazu da, Streitigkeiten zu lösen. Im Übrigen geht es nicht um einen ideologischen Streit, sondern um ein zivilrechtliches Verfahren.
Es gab aber bisher auch viele außergerichtliche Treffen. Hätte die Stadt da nicht einen Schlichter dazu holen können?
Das wäre denkbar gewesen. Aber das, was vorgefallen ist, kann man nicht wegmoderieren. Außerdem hatte ich immer die Hoffnung, dass es auch so gehen würde.
Zwei Welten treffen aufeinander: Die, die die Muslime ungerecht behandelt sehen, und die, die Angst haben vor islamistischem Gedankengut. Wie kann die Stadt hier wieder Ruhe reinbringen?
Ruhe bringt man durch Vertrauen rein. Wenn ich sehe, mein Partner verhält sich korrekt, dann wächst das Vertrauen.
Man könnte der Meinung sein, dass die Muslime sich in jüngerer Zeit durchaus bemüht haben, Vertrauen aufzubauen und das Kommunikationsproblem zu lösen.
Kommunikationsproblem – das klingt harmlos. Zeitweise gab es gar keine Kommunikation. Es ist außerdem nicht ein kleiner, hilfloser Verein, der hinter dem Projekt steht. Das sind absolute Profis, die das durchziehen wollen.
Sie sagen, Sie vertrauen dem Verein nicht mehr. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Sie so das Lager stärken, das Angst schürt?
Ich weiß, ich bin für den Frieden in der Stadt zuständig und nicht für den Streit. Aber ich muss im Streitfall auch meine Position ergreifen dürfen. Deshalb sage ich weiterhin ganz offen, dass ich mein Vertrauen verloren habe – in die in diesem Streit handelnden Personen. Das kann man aber wieder gewinnen: durch korrektes, verlässliches Verhalten.
Es gibt also noch Hoffnung?
Ja, als Stadtoberhaupt habe ich ein Interesse daran, dass das Projekt nachher etwas wird. Es muss aber integrierbar sein und kann so normaler Bestandteil des städtischen Lebens werden.
Weil es nach der Verhandlung am 14. Januar irgendwie weitergehen muss?
Der Konflikt kann kein Dauerzustand sein. Mein festes Ziel ist eine Lösung. Nun aber wird man erst mal das Gericht arbeiten lassen. Wenn wir unterliegen, muss man sehen, ob der VKBI seine Vorstellungen durchzieht. Wenn das Gericht einen Vergleich vorschlägt, werden wir sehr genau überlegen, ob wir dem folgen. Wenn wir gewinnen, bin ich der Erste, der wieder am Verhandlungstisch sitzt. Ich habe weniger Probleme mit einem Friseur oder einem Supermarkt, als mit dem von den Muslimen auch geplanten Schülerwohnheim. In jedem Fall haben wir dann eine tragfähige Basis für eine neue Integrationspolitik in unserer Stadt.
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