Der Umgang mit Flüchtlingskindern ist eine Herausforderung für die Erzieherinnen. Jetzt bietet das Land einen Film für alle Kitas, der gute Beispiele zeigt. Darunter die Leonberger Kita, die Frauen aus der Gemeinschaftsunterkunft als Ehrenamtliche beschäftigt.

Stuttgart - Was macht die Kindergartenleiterin, wenn der Vater eines Flüchtlingskindes interessiert mit dem Mann aus dem Bundesfreiwilligendienstprogramm spricht, aber die Chefin keines Blickes würdigt? Vor Fragen wie diesen stehen die Erzieherinnen im Land täglich. Da hilft zunächst, zu wissen, dass in vielen der Herkunftsländer frühkindliche Bildung gar nicht verbreitet ist und in den Schulen dort fast nur Männer arbeiten. Danach kann man behutsam auf Änderung hinwirken.

 

Baden-Württemberg bemüht sich, den Erzieherinnen beizustehen. Schon zum zweiten Mal hat das Land am Freitag zu einen Fachtag zur Begleitung von kleinen Flüchtlingskindern und ihren Familien eingeladen, bei dem die Erzieherinnen sich austauschen und über gute Beispiele informiert werden. Das Interesse ist groß. 400 Fachkräfte kamen am Freitagnachmittag in den Herbstferien nach Stuttgart. Das konnte die Kultusstaatssekretärin Marion von Wartenberg (SPD) nicht genug loben.

Die Esslinger Sozialwissenschaftlerin Nina Kölsch-Bunzen hat zusammen mit Kollegen ein Handbuch zum Umgang mit kultureller Vielfalt in den Kitas vorlegt. Das soll den Fachkräften den Umgang mit Flüchtlingskindern erleichtern. Die Handreichung ist laut von Wartenberg auch als Grundlage für die Aus- und Weiterbildung der Erzieherinnen gedacht.

Kompass zum Umgang mit der Vielfalt

Kölsch-Bunzen will den Fachkräften damit helfen, die Handlungsunsicherheit zu überwinden. Das sei die Hauptaufgabe im Umgang mit den Flüchtlingen. Angesichts der kulturellen Vielfalt bauche es auch keine Kulturbegriffe der Abgrenzung. „Es geht nicht darum zu sagen, hier ist es so und so. Wir finden Vielfalt vor und brauchen einen Kompass zum Umgang damit“, konstatierte Kölsch-Bunzen. Den Kompass bieten die Menschenrechte, erklärte die Professorin den Erzieherinnen. „Vielfalt kann erst positiv zur Geltung kommen, wenn sie auf den Menschenrechten gegründet ist.“

Einen Kompass zum Umgang mit Flüchtlingskindern liefern auch Donata Elschenbroich und Otto Schweitzer mit ihrem Film „Ruhe auf der Flucht“. Sie machen klar, dass sich 80 Prozent der Flüchtlingsströme auf anderen Kontinenten bewegen und zeigen am Beispiel eines Flüchtlingscamps in Uganda, wie wichtig Beschäftigung für Kinder und für erwachsene Flüchtlinge ist.

Zur Nachahmung empfohlen wird die Praxis eines Kindergartens in Leonberg. Dort arbeiten Flüchtlingsfrauen als Ehrenamtliche mit. Die Leiterin lobt, die Frauen seien bis zu hundert Stunden in der Kita tätig. Das helfe nicht nur der Kita, „auch die Frauen können ihren Alltag anders bestreiten als in ihrem Zimmer im Übergangswohnheim zu sitzen.“ Der Film wird allen Kitas zur Verfügung gestellt.

Land will seine Standards halten

Trotz des Zustroms will Baden-Württemberg die Standards in den Kitas halten. „Wir werden die Qualität nicht absenken, es wird einen weiteren Ausbau qualitativ und quantitativ geben“, versprach von Wartenberg den Besucherinnen des Fachtags. Das Land werde keine Konkurrenzsituationen zwischen Inländern und Flüchtlingen um die Kitaplätze entstehen lassen.

Das Sprachförderprojekt „frühe Chancen“ wird vom Bund im kommenden Jahr nur teilweise fortgeführt. Von 565 Stellen im Land werden 400 weiter gefördert. Von Wartenberg erklärte am Freitag, das Land werde die 165 anderen Kräfte finanzieren. „Keine einzige Sprachförderkraft wird verloren gehen“, sagte sie unter dem Applaus der Teilnehmerinnen.

Zur Unterstützung der Erzieherinnen baut das Land ein Supervisionssystem auf. In jedem Regierungsbezirk soll es solche Angebote geben. Baden-Württemberg ist laut von Wartenberg das erste Bundesland, das Erzieherinnen auf diese Weise begleitet. Die Koalition sieht noch einmal drei Millionen Euro für die frühkindliche Sprachförderung vor, in einem ersten Nachtragshaushalt wurden bereits 4,8 Millionen Euro bereitgestellt.

Jeder dritte Flüchtling ist ein Kind

In diesem Jahr wurden von Januar bis September in Baden-Württemberg 65 000 Asylanträge gestellt. Drei von vier Antragstellern kommen laut Kultusstaatssekretärin von Wartenberg aus Bürgerkriegsländern, davon wiederum mehr als die Hälfte aus Syrien. Ein wesentlicher Teil der Flüchtlinge im Land ist aus dem Irak und aus Afghanistan. Die Zahlen der Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten sind der Staatssekärtin zufolge stark gesunken. Viele Flüchtlinge sind noch nicht registriert. Daher ist ihre Zahl deutlich höher als die der Asylanträge. Bis zum Jahresende wird im Land mit 130 000 Flüchtlingen gerechnet. 30 bis 40 Prozent sind Kinder und Jugendliche.