In den Stuttgarter Wagenhallen haben Experten die Frage diskutiert, wie frei die Künste sind und überhaupt noch sein können.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn sich ein Ultra-HNWI ein Bild für eine Million Euro kauft, dann nicht auf Pump, sondern er nimmt das Geld aus der Portokasse. Auch gewöhnliche HNWIs - "High-net-worth individuals" - besitzen sehr viel Geld, wer aber zu den Ultra-HNWIs gehört, hat sogar über dreißig Millionen Dollar frei zur Verfügung. Viele dieser schwerreichen Menschen investieren immer häufiger auch in Kunst. Auf dem Kunstmarkt werde sehr viel Geld vernichtet, "um Status zu generieren", wie Christoph Behnke meint. Behnke ist Soziologe, unterrichtet an der Universität in Lüneburg und hat in den Wagenhallen in Stuttgart am Wochenende zu erklären versucht, wie sich der gigantische Geldtransfer auf dem Kunstmarkt auf die Freiheit des Künstlers auswirkt. Seine Antwort: schlecht. Der Künstler, meint Behnke, "wird durch den ökonomischen Erfolg verbrannt".

 

"Wie frei bist du?", nannte sich der Kongress, den die Kunststiftung Baden-Württemberg und das Kunstbüro initiiert haben. Bernd Georg Milla, der neue Geschäftsführer der Kunststiftung, hat bereits angekündigt, nicht nur Künstlerinnen und Künstler durch Stipendien unterstützen zu wollen, sondern auch Diskussionen in der Stadt anzuregen. Mit dem Kongress hat er sich an die schwierigste und zentralste Frage der Kunstproduktion gewagt: Wie autonom ist die Kunst überhaupt? "In letzter Zeit macht sich bemerkbar, dass Förderung an Bedingungen geknüpft ist", erklärt Milla. Künstler sollten sich im sozialen Bereich engagieren oder auch das Image einer Stadt aufpolieren: "Das sehen wir in der Kunststiftung als sehr bedenklich."

Nun ist nicht nur der Unterschied zwischen den Stipendiaten der Kunststiftung und Künstlern, die von Ultra-HNWIs gekauft werden, enorm. Auch der Begriff der Autonomie ist kaum zu greifen. Der Soziologe Behnke unterscheidet institutionelle Autonomie und ästhetische, andere haben institutionelle von individueller Autonomie unterschieden. "Wir hätten noch vier Tage weitermachen können", meinte denn auch Hans D. Christ vom Württembergischen Kunstverein, der ein Seminar leitete und zum Schluss kam: "Autonomie kann man nicht an einem Punkt definieren, sondern sie muss in der Gemeinschaft immer neu verhandelt werden."

Kultur – weil es gut fürs Image ist

Nicht nur die bildende Kunst, sondern alle Sparten sollten bei dem Kongress bedacht werden. Und so machte der Stuttgarter Schauspielintendant Hasko Weber deutlich, dass es auch im Theater "viele Dinge gibt, die die Freiheit extrem einschränken". Allein die Tatsache, dass Verträge anderthalb Jahre im Voraus geschlossen werden müssten, enge den Spielraum ein. Aber auch die Wünsche eines Publikums können die Autonomie beschränken. Gerade die Ereignisse um Stuttgart 21 hätten die Theater in Zugzwang gebracht, sagt Weber: "Es gibt eine akute Erwartungshaltung: Wie reagieren wir darauf, was sagt das Theater dazu?" Die Autonomie der freien Tänzerinnen und Tänzer ist dagegen durch die Arbeitsbedingungen gefährdet. "Wir arbeiten in der freien Szene ohne Hierarchien und in demokratischen Strukturen", so die Tänzerin und Choreografin Nina Kurzeja, "aber das benötigt viel Zeit, mehr, als man hat."

Die Arbeitsgruppe von Michael Lingner, Professor für Kunsttheorie in München, formulierte ein kühnes Plädoyer für das "kluge Unterlassen". So solle sich der Künstler nicht abhängig machen von Stiftungen und Geldgebern und sich am besten ganz von der Kunst abwenden, wenn er ihr nur aus "äußeren Gründen" nachgehe.

Da schwingt allerdings ein uraltes Bild des Künstlers mit, das der Kunsttheoretiker Stephan Schmidt-Wulffen skizzierte: Wenn man von Autonomie spreche, gehe es doch immer nur darum, dass eine "Botschaft, die nicht von dieser Welt ist, in aller Reinheit kommuniziert werden kann" und ungetrübt beim Betrachter ankommt. In früheren Jahrhunderten war es die göttliche Botschaft, die durch das Medium des Künstlers weitergereicht wurde, heute sei es die Idee des genialischen Künstlers. "Aber das Reinheitsgebot, dass die Idee ungestört zum Betrachter gehen kann, bleibt dasselbe", so Schmidt-Wulffen.

Der Geniebegriff lässt grüßen

Während der Frankfurter Künstler Stefan Beck vehement dagegen ist, dass Kunst zum Beispiel für kulturelle Bildung vereinnahmt wird, glaubt Schmidt-Wulffen: "Es gibt keine autonomen Werke mehr." Man könne nicht mehr sagen, dass dies eine Skulptur und jenes eine Blumenvase sei; jeder Gebrauchsartikel habe immer auch eine Botschaft, die der Betrachter wahrnehme. "Wir sind alle so ausgebuffte Konsumenten, dass wir in jedem Objekt seine Sprache, seine Gesellschaft erkennen."

Wenn aber eine Vase eine Vase sein kann oder ein Kunstwerk - "wozu brauchen wir dann noch Künstler?", wollte die Journalistin Susanne Kaufmann wissen, die den Kongress moderierte. "Künstler bleiben Fachleute in der Rückeroberung der Autonomie", sagte Schmidt-Wulffen, aber "das Hantieren mit bereits Vorhandenem ist wichtiger geworden, als Eigenes zu stilisieren". Auch Schmidt-Wulffen ist überzeugt, dass Autonomie permanent neu verhandelt werden muss.

Entsprechend gab es am Ende des Kongresses keine klare Ansage, ob es ehrenrührig ist, Künstlerinnen und Künstler für soziale Projekte oder auch Imagekampagnen einzuspannen oder nicht. Der Kunstvereinschef Hans D. Christ hat die Erfahrung gemacht, dass es zumindest interessant sein kann, in Kunstprojekten "humanes Kapital" einzusetzen. Wichtig sei nur, immer "das Repräsentationssystem zu reflektieren". Eine Kunstinstitution dürfe nicht zur therapeutischen Einrichtung werden.