Führende Konjunkturforscher erwarten einen Rekordeinbruch, ab dem zweiten Halbjahr aber eine Erholung. Die Gemeinschaftsdiagnose der großen Wirtschaftsforschungsinstitute beruht allerdings auf der Annahme, dass die Auflagen zur Eindämmung der Corona-Pandemie schon bald gelockert werden.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Der deutschen Wirtschaft droht in diesem Quartal der schwerste Einbruch der Nachkriegsgeschichte. Laut der am Mittwoch vorgelegten Gemeinschaftsdiagnose führender Wirtschaftsforschungsinstitute wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wegen der Corona-Pandemie in den Monaten April bis Juni um 9,8 Prozent schrumpfen, doppelt so stark wie während der weltweiten Finanzkrise im ersten Quartal 2009. Allerdings erwarten die Institute im zweiten Halbjahr eine leichte Erholung, womit die Rezession insgesamt milder ausfallen würde als vor elf Jahren: Für das gesamte Jahr 2020 prognostizieren die Forscher ein Minus von 4,2 Prozent. 2009 war die Wirtschaftsleistung um 5,7 Prozent eingebrochen. Die Vorhersage beruht auf der Annahme, dass die Einschränkungen des Wirtschaftslebens bereits ab Mitte April wieder aufgehoben werden.

 

Die aktuellen Auflagen – also die Schließung von Geschäften und Gaststätten sowie eine strikte Begrenzung sozialer Kontakte – gelten vorerst bis zum 19. April. Darüber, wie es danach weitergeht, wollen Bund und Länder nächste Woche Dienstag beraten. Auch in vielen Industriebetrieben stehen derzeit die Bänder still. Zwei Beispiele: Der Autobauer BMW hat den Produktionsstopp in seinen Werken in Europa und Nordamerika bis Ende April verlängert, Daimler verkündete am Mittwoch eine Ausdehnung der Kurzarbeit für große Teile der Belegschaft bis zum Monatsende.

Große Unsicherheit

Die Gemeinschaftsprognose sei mit großer Unsicherheit behaftet, räumte der Konjunkturchef des Ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser, ein. Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) wies darauf hin, dass der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vergangene Woche eine noch mildere Rezession vorhergesagt habe. In ihrem Basisszenario gingen die Mitglieder des Sachverständigenrats, besser bekannt als die Wirtschaftsweisen, von einem Rückgang des BIP um 2,8 Prozent im laufenden Jahr aus.

Es gibt aber auch weitaus pessimistischere Prognosen. So schilderte das Ifo-Institut in einer am 23. März veröffentlichten Einzelstudie als wahrscheinliches Szenario eine zweimonatige Zwangspause mit der Folge, dass die Wirtschaftsleistung um mindestens sieben Prozent einbrechen würde. Die nun vorgelegte Gemeinschaftsdiagnose spiegelt den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den fünf beteiligten Forschungseinrichtungen wider. Neben dem Münchener Ifo-Institut und dem Kieler IfW sind dies das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Institut für Wirtschaftsforschung Halle und das RWI in Essen.

Anstieg der Arbeitslosenquote auf knapp sechs Prozent erwartet

„Die Rezession hinterlässt deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt und im Staatshaushalt. In der Spitze wird die Arbeitslosenquote auf 5,9 Prozent und die Zahl der Kurzarbeiter auf 2,4 Millionen hochschnellen“, heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose. Für 2021 erwarten die Autoren dafür eine kräftige Gegenbewegung mit einem Anstieg des BIP um 5,8 Prozent.

Hintergrund sei die Annahme, dass sich die Weltwirtschaft „weitgehend synchron“ erhole und sich somit auch die Exportaussichten der deutschen Unternehmen bald wieder verbesserten, erklärte Ifo-Experte Wollmershäuser. Die größten Volkswirtschaften würden „im Laufe der nächsten ein, zwei Monate ihre Einschränkungen wieder aufheben“. In Ländern, für die der Tourismus als Einnahmequelle eine große Rolle spiele – wie Italien oder Spanien – dürfte sich die Wirtschaft allerdings nur langsam erholen, räumte Wollmershäuser ein. Diese Staaten bräuchten Unterstützung – zu der in Brüssel tobenden Debatte über die Form solcher Hilfen wollte er sich nicht äußern.

Für Deutschland beruht die Prognose auf der Annahme, dass „der Schutzschirm, den die Bundesregierung aufgespannt hat, tatsächlich effektiv ist“, sagte Wollmershäuser weiter. Eine großflächige Pleitewelle sei nicht zu erwarten, „die Unternehmen bleiben erhalten und fahren nach Ende des Shutdowns ihre Produktion wieder hoch“. DIW-Experte Claus Michelsen schränkte indes ein: „Dass das Wiederhochfahren funktioniert, ist alles andere als ausgemacht, die Akteure sind verunsichert.“ Über die Notwendigkeit eines Konjunkturprogramms nach Überwindung der Pandemie seien die Institute uneins, sagte Michelsen. DIW-Chef Marcel Fratzscher hatte bereits Ende März ein solches Konjunkturprogramm gefordert.