Immer weniger Kinder, immer mehr Schultypen: nach der vierten Klasse buhlen die Rektoren zunehmend heftiger um Schüler. Kein Wunder, dass Informationsabende verstärkt an Werbeveranstaltungen erinnern – und die Schulleiter sich teils heftige verbale Duelle liefern.

Bietigheim-Bissingen - Es ist schon etwas später an diesem Abend, kurz vor 21 Uhr. Die etwa 120 Eltern in der Aula der Waldschule Bissingen haben sich bereits knapp anderthalb Stunden lang Verheißungen und Versprechungen von Schulleitern angehört – da überschreitet Stefan Ranzinger eine Grenze: Der Leiter des Beruflichen Schulzentrums in Bietigheim erlaubt sich, einige aus seiner Sicht unbequeme Wahrheiten über die Gemeinschaftsschule als solche auszusprechen, und scheint damit beim Gastgeber dieses Informationsabends zu weiterführenden Schulen – gewollt oder nicht – Ärger zu provozieren.

 

Fast zwei Drittel der Gemeinschaftsschüler hätten eigentlich eine Empfehlung für die Werkrealschule, bilanziert Ranzinger. Zudem sei die Zukunft dieses neuen Schultyps (Ranzinger: „Das Lieblingskind von Grün-Rot“) essenziell von der Landtagswahl am 13. März abhängig. Er könne die Verunsicherung vieler Eltern verstehen. Aber: trotz aller Wichtigkeit der Entscheidung, wie es nach Klasse Vier für ihr Kind weitergehe („solche Entscheidungen lassen sich hinterher noch korrigieren“), es gelte der Grundsatz „kein Abschluss ohne Anschluss“. Zum Beispiel durch eine weiterführende berufliche Schule.

„Die Gemeinschaftsschule bleibt!“

Dem Leiter der Waldschule, Stephan Bender, scheint das gehörig gegen den Strich zu gehen. Nach Ranzingers Referat greift er zum Mikrofon und erklärt den Eltern mit bissigem Unterton: „Leider können Sie Ihre Kinder noch gar nicht an einer Berufsschule anmelden.“ Zudem sieht er sich genötigt zu betonen, dass es „die Gemeinschaftsschule auch nach der Landtagswahl weiterhin geben wird“.

Die Schullandschaft ist im Wandel. Die Zahl der Schüler schrumpft. Gleichzeitig wirbt mit der Gemeinschaftsschule ein neuer Schultyp um Kinder und Jugendliche. Die Werkrealschule steht vor dem Verschwinden, und auch die Realschule hat sich gegen die neue Konkurrenz zu erwehren. Informationsabende wie jener in Bissingen vorige Woche zeigen exemplarisch, dass die Konkurrenz größer, der Umgangston rauer geworden ist. Sie gleichen Stellenweise eher Werbeveranstaltungen als neutralen Informationsabenden.

Gastgeber bringt Gäste in die Defensive

In Bissingen fängt an jenem Abend für den Gastgeber Stephan Bender zunächst alles gut an. Genüsslich – und mit 35 Minuten Redezeit auch weit ausufernder als die Kollegen – berichtet der Chef der Waldschule von den Vorzügen seines Schultyps: keine Noten, keine Hausaufgaben, keine frühe, strenge Selektion nach Leistungsklassen der Schüler. Noten seien „nur für die Bildung von Rangfolgen und die Auslese nötig“, sagt Bender. Er selbst habe eine Schule besucht, „in der es keine Noten gibt, und immerhin hat es noch zum Schulleiter gereicht“. Das kommt an. Einige Paare im Zuhörersaal nicken sich erstaunt lächelnd zu. Die Folge: die Redner nach Bender starten ihre Präsentation aus der Defensive.

Hanspeter Diehl, der Leiter der Realschule Bissingen, betont gleich zu Beginn, dass es in seiner Schule Noten gibt, „aber das sind nicht die einzigen Rückmeldungen für Schüler“. Meist beginne der Unterricht bei ihm erst zur zweiten Stunde, zudem gebe es ein offenes Ganztagesangebot bis 16.30 Uhr. Matthias Helmle, der Vize-Schulleiter des Ellentalgymnasiums I in Bietigheim, geht – mit dem Run auf Gymnasien im Rücken – in die Offensive. „Es gibt Noten an unserer Schule“, sagt er und macht deutlich, „dass bei uns schon ganz schön viel Unterricht angesagt ist.“ Es folgt der erwähnte Vortrag Stefan Ranzingers. „Und, fühlst du dich informiert?“, fragt eine Mutter eine andere beim Rausgehen. Die andere lacht: „Ach, ich weiß nicht.“