Deutschland sei nicht vorbereitet auf die Herausforderungen des organisierten Verbrechens, sagt der italinische Anti-Maifa-Kämpfer Nicola Gratteri. Am Konstanzer Landgericht zeigt sich gerade, dass er so falsch offenbar nicht liegt.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Konstanz - Es war ein beispielloser Schlag gegen die Mafia. In Deutschland und Italien wurden im Januar rund 170 Verdächtige festgenommen. Dennoch goss Nicola Gratteri, Italiens bekanntester Anti-Mafia-Staatsanwalt, wenige Wochen später bei einem Besuch in Stuttgart Acqua in den Vino. Deutschland habe sehr gute Ermittlungsbehörden, sagte Gratteri. Leider sei man auf die Herausforderungen des organisierten Verbrechens aber nicht vorbereitet, weil es keine Anti-Mafia-Gesetze gebe.

 

Bei der Staatsanwaltschaft Konstanz sieht man das Problem an anderer Stelle. Schon im vergangenen Juli hob man zusammen mit der Kripo in Rottweil eine mutmaßliche Mafiazelle im Schwarzwald aus, die sich um einen Rottweiler Gastronomen und einen Donaueschinger Boutiquenbesitzer scharte und die über Verbindungen zur sizilianischen Cosa Nostra und zur kalabrischen ‚Ndrangetha verfügen soll. 400 000 Euro wurden beschlagnahmt, zudem Wertgegenstände und Immobilien im Wert von 4,5 Millionen Euro eingezogen.

Es ist offen, wo verhandelt wird

An Paragrafen im deutschen Strafgesetzbuch, gegen die die ehrenwerte Gesellschaft verstoßen haben dürfte, mangele es nicht, so die Staatsanwaltschaft. Dementsprechend wurde inzwischen Anklage erhoben. Die Delikte reichen von gefährlicher Körperverletzung, Anstiftung zur Brandstiftung, Verabredung zum schweren Raub, über Drogenhandel im großen Stil bis zum Mordversuch. Wegen eines Streits um Drogengeschäfte waren Schüsse auf eine Gaststätte in Hüfingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) abgeben worden.

Doch noch ist offen, wann, wo und ob überhaupt gegen die elf Männer italienischer Herkunft verhandelt werden kann. Das Problem liegt beim Konstanzer Landgericht. Um während des drohenden monatelangen Verfahrens die übrige Arbeit nicht liegen lassen zu müssen, wurde bereits eine Hilfskammer gebildet. Nun sucht der zuständige Richter händeringend nach geeigneten Räumlichkeiten für den Mammutprozess. Der große Saal am Konstanzer Landgericht wird saniert, doch selbst wenn er frei wäre, könnte er die hohe Zahl an Prozessbeteiligten nicht aufnehmen. Allein für 19 Verteidiger müssen Tische und Bänke bereit gestellt werden.

Neun der elf Angeklagten sind in Haft

Noch größer sind die Sicherheitsprobleme. Neun der elf Angeklagten befinden sich in Haft. In Konstanz gibt es aber nur drei Vorführzellen. Und selbst wenn in jede drei Angeklagte gesteckt werden könnten, wäre das keine gute Lösung. Schließlich besteht bei Mafiabeschuldigten immer die Befürchtung, sie könnten sich absprechen. Deshalb wurden sie nach ihrer Festnahme auch auf verschiedene Untersuchungsgefängnisse im ganzen Land verteilt.

Das Landgericht Duisburg zog für das Love-Parade-Verfahren in die Messe Düsseldorf um. In Konstanz gibt es das Bodenseeforum. Bei Veranstaltern ist es eher mäßig nachgefragt. Das Interesse an einem potenten Dauermieter wäre insofern groß. Allerdings fehlt es auch in dem Komplex am Seerhein trotz einem großen Saal und vieler Nebenräume an den notwendigen Sicherheitsstandards. Nicht auszudenken, wenn ein Angeklagter über den Rhein fliehen würde, heißt es bei der Staatsanwaltschaft.

Auch ein Umzug ins Ausland ist denkbar

Die nächsten Landgerichte in Freiburg, Waldshut oder Ravensburg residieren ebenfalls meist in historischen Bauten und sind kaum üppiger ausgestattet als Konstanz. Üblicherweise bitten die Richter in solchen Fällen deshalb im Hochsicherheitsbau in Stuttgart-Stammheim um Asyl. Viele baden-württembergische Landgerichte haben dort ihre großen Prozesse schon verhandelt. Doch die Konstanzer erhielten einen Korb. Wegen zweier großer Staatsschutzverfahren sei der Saal auf Monate ausgebucht.

Inzwischen fühlte das Gericht vom Bodensee schon in München vor. Doch auch dort hat man wenig Interesse an badischen Gästen. Es gebe zwar viele Gerichtssäle in München, aber es seien auch viele Verfahren zu führen, sagt ein Gerichtssprecher kühl.

Sollte bis zum Spätsommer kein Raum gefunden sein, droht der nächste Haftprüfungstermin und damit auch die Freilassung der Untersuchungshäftlinge. Dennoch scheidet eine Lösung offenbar aus verfassungsrechtlichen Erwägungen bisher aus: ein Umzug ins Ausland. Dabei gebe es in Italien nicht nur einschlägige Mafiaparagrafen, sondern auch Gerichtssäle in ausreichender Größe. Und auch die Sicherheitsvorkehrungen wären wohl mafiatauglich.