Eine Stuttgarter Wissenschaftlerin erhält einen eigenen Eintrag bei Wikipedia – obwohl sie das gar nicht möchte. Welche Rechte hat sie nun? Und wer kontrolliert das Onlinelexikon überhaupt?

Nachrichtenzentrale : Henning Jochum (hej)

Stuttgart - Eine Milliarde Mal wird die deutschsprachige Wikipedia laut Wikimedia Deutschland pro Monat aufgerufen. 1.000.000.000. Diese Zahl lässt erahnen, wie wichtig das Onlinelexikon mittlerweile im Alltag der Menschen ist. Da erscheint es im ersten Moment als Ehre, einen eigenen Eintrag zu erhalten. Doch was ist, wenn man das gar nicht möchte? Oder die Angaben nicht der Wahrheit entsprechen? So erging es einer Stuttgarter Wissenschaftlerin.

 

Petra H. (Name von der Redaktion geändert) war überrascht, als sie durch Zufall auf ihren Artikel bei Wikipedia stieß. „Ich hielt es nicht für notwendig, einen eigenen Eintrag zu bekommen. Außerdem waren etwa 30 Prozent der Angaben falsch und ich sah mich nicht korrekt dargestellt“, sagt sie. Die Wissenschaftlerin informierte sich etwas genauer über Wikipedia und bekam schließlich einen Ansprechpartner ans Telefon. „Dort sagte man mir, ich sei eine Person des öffentlichen Rechts. Daher bestehe kein Anlass, den Eintrag zu löschen“, erzählt Petra H.

Wer ist verantwortlich?

Alexander Möller von Wikimedia erklärt: „Generell kann man über alles und jeden schreiben, sofern gewisse Relevanzkriterien erfüllt sind. Diese kann man transparent einsehen.“ Der Verein unterstützt unter anderem die rund 50.000 Freiwilligen, die sich um die deutschsprachige Wikipedia kümmern. Davon sind etwa 8000 regelmäßig auf den Seiten aktiv. Verantwortlich für den Inhalt ist Wikimedia aber nicht. Das sind im Prinzip alle, die sich an den Beträgen des freien Wissens beteiligen. Über den konkreten Fall von Petra H. sagt Möller: „Wenn man so etwas nicht möchte, kann man dies in den Diskussionsforen bei den jeweiligen Beiträgen, zu denen jeder Zugang hat, zur Sprache bringen. Dann wird darüber diskutiert und gemeinschaftlich entschieden.“ Wikipedia sei juristisch dem amerikanischen Recht unterworfen. „Man kann im allerletzten Schritt Klage wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte einreichen. Aber das kam eigentlich noch nie vor“, sagt Möller.

Petra H. ging auch nicht so weit. Sie kümmerte sich schließlich selbst darum, ihren Eintrag zu verbessern. Die Freischaltung dauerte zwar, funktionierte aber schließlich. Bewusst wurde ihr die Relevanz von Wikipedia erneut, als sie sich nach einer neuen Wohnung in Stuttgart umschaute. „Der Vermieter fragte mich, warum ich denn hier eine Wohnung suche, obwohl ich doch in einer anderen Stadt arbeite“, erzählt sie. Da wurde ihr klar, dass ihr neuer Arbeitgeber in ihrem Eintrag noch nicht vermerkt war. „Das war schon komisch, wie gläsern man da plötzlich ist. Ich habe es natürlich schnell geändert, obwohl ich mich um so etwas eigentlich gar nicht kümmern möchte“, sagt sie.

Änderungen durch seriöse Quellen

Fehler kann jeder mit entsprechender Quellenangabe beheben. Als solche zählen zum Beispiel Bücher oder Zeitungen, erklärt Möller. Die Änderungen erscheinen dann je nach Beitrag entweder sofort auf der Seite oder müssen erst noch durch eine Kontrollinstanz, die aus höher eingestuften aktiven Nutzern besteht, freigeschaltet werden. Da bleibt es nicht aus, dass falsche Angaben erst einmal online erscheinen, gibt Möller zu: „Diese Offenheit hat natürlich auch eine Kehrseite, aber Wikipedia setzt da ganz auf die Schwarmintelligenz. Man kann nicht einfach einen Quatsch-Beitrag erstellen, der dann länger online steht. Das wird in der Regel vom Kollektiv sehr schnell erkannt und dann gelöscht. Und so verhält es sich auch bei Ergänzungen.“

Petra H. findet die Idee hinter Wikipedia grundsätzlich gut, wie sie betont. Um sich einen ersten groben Überblick zu einem Thema zu verschaffen, bietet sich das Onlinelexikon an. Dennoch sieht sie, auch aufgrund ihres eigenen Falls, einige Probleme: „Häufig sind die Artikel schlecht recherchiert und beinhalten viele Fehler. Es ist teilweise diffus und meines Erachtens gibt es zu wenig Steuerung.“

Selbstregulierung als Grundprinzip

Alexander Möller von Wikimedia sieht das nicht so kritisch. „Natürlich gibt es auch Probleme und von außen scheint das System manchmal vielleicht etwas anarchisch und chaotisch. Aber die Selbstregulierung funktioniert wahnsinnig gut.“ Gerade in einer Zeit, in der Fake News und alternative Fakten mehr in den Vordergrund rücken, hält er das Konstrukt Wikipedia für verlässlich. „Meines Erachtens ist Wikipedia die beste Version der Wahrheit zum gegebenen Zeitpunkt.“

Die hohen Zugriffszahlen geben Möller jedenfalls recht und zeugen vom Vertrauen der Nutzer – auch wenn nicht alles perfekt läuft und es durchaus Grund zur Kritik gibt, wie der Fall von Petra H. zeigt.