Nach eine mehrere Jahre dauernden Planungszeit ist am Montag das neue Suchthilfezentrum der Stadt eröffnet worden. Erstmals erhalten Süchtige nun nicht nur Methadon als Ersatzstoff, sondern das synthetische Heroin Diamorphin.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Seit 1998 gibt es in Deutschland einen Drogentotengedenktag, der am 21. Juli begangen wird und an dem sich immer mehr Städte mit Veranstaltungen beteiligen. Nicht zufällig ist an diesem Datum das neue suchtmedizinische Zentrum der Stadt an der Kriegsbergstraße eingeweiht worden. Die Landessozialministerin Katrin Altpeter (SPD) sprach von einem „Meilenstein in der Entwicklung eines modernen Suchthilfesystems“.

 

Zentrales Element der Einrichtung ist die Schwerpunktpraxis des Suchtmediziners Andreas Zsolnai. Dort wird erstmals das synthetische Heroin Diamorphin an 50 Schwerstabhängige abgegeben. „Dadurch wird sich die soziale und die gesundheitliche Lage der Patienten deutlich verbessern“, sagte die Ministerin. Das Land hat zu den Baukosten von 2,5 Millionen Euro, die die Stadt trägt, 150 000 Euro für die Sicherheitstechnik beigesteuert. Altpeter lobte Stuttgart für sein „beispielhaftes Engagement“ .

Zähes Ringen um den geeigneten Standort

Die Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) erinnerte an dem „Freudentag“ an den zähen Werdegang des „Vorzeigeprojekts“. Zwar habe sich der Gemeinderat quer durch alle Fraktionen schon bald für die Diamorphinabgabe entschieden, nachdem 2009 die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen worden waren, als andernorts noch grundsätzlich über das Für und Wider der Abgabe von Heroin auf Rezept gestritten wurde. Allerdings erwies sich die Suche nach einem geeigneten Standort als schwierig. „Heute können wir sagen: es ist der richtige“, sagte Fezer.

Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) wies bei der Feier auf die zwölf Drogentoten hin, die im vergangenen Jahr in Stuttgart zu beklagen waren. Das sind zwar deutlich weniger als noch vor Jahren, dennoch sei jeder dieser Verstorbenen der Stadt „eine Mahnung“. Der Oberbürgermeister bekannte sich zur „Verantwortung, die die Stadt auch für Menschen hat, die in ihrem Drogenelend nicht mehr weiterkommen“. Dabei gehe keineswegs nur darum, durch eine Einrichtung wie die Diamorphinabgabe Effekte bei der Reduzierung der Beschaffungskriminalität zu erzielen. Es gehe vielmehr um den „humanitären Gesichtspunkt“, sagte Kuhn, man tue dies „um der Menschen selbst willen“.

Die Warteliste ist schon lang

Nach den Erhebungen der Stadt leben in Stuttgart etwa 1800 Personen, die harte Drogen wie Heroin konsumieren. Rund 850 von diesen erhalten inzwischen Methadon als Ersatzstoff. 150 Süchtige kommen für das neue Diamorphinprogramm in Frage. Diese müssen mindestens zwei erfolglose Therapien hinter sich haben und körperlich oder psychisch krank sein. Die Liste der Bewerber um die 50 Therapieplätze in der neuen Einrichtung, wo auch 100 Patienten mit Methadon substituiert werden, ist jedenfalls schon lang.

Die Patienten, die dreimal am Tag in die Diamorphinpraxis kommen, spritzen sich den Stoff dort unter Aufsicht selbst, danach wird ihr Zustand noch eine gute Viertelstunde beobachtet. Anders als Methadon hat das industriell hergestellte Heroin eine psychoaktive Wirkung auf die Patienten, es gibt ihnen das Gefühl von Wärme, innerer Ruhe und von Zu-Hause-Sein, sagt der Suchtmediziner Andreas Zsolnai. Dies helfe den häufig durch belastende Erfahrungen in ihren Familien und durch ihr Leben auf der Straße „traumatisierten“ Menschen. Überdies hat Heroin keine so starken Nebenwirkung wie Methadon, das oft zu Gewichtszunahme und Schlaflosigkeit führe. Und der Entzug von Methadon sei wesentlich härte als der von Heroin.

Drogenberatung Release bietet ihre Hilfe an

Die Süchtigen werden in der neuen Einrichtung aber nicht nur medizinisch betreut. In dem neuen Suchthilfezentrum hat auch die Drogenberatung Release eine neue Bleibe gefunden. Neben Beratungen und tagesstrukturierenden Angeboten will Release in absehbarer Zeit auch noch Arbeitsprojekte für die Betroffenen in das Programm aufnehmen. Ulrich Binder, der Geschäftsführer der Drogenberatung Release, hob als Besonderheit des neuen Suchthilfezentrums hervor, dass hier Mediziner, Sozialarbeiter und Psychiater „mit Elan zusammenarbeiten“.