Die Sportvereine fordern neue Einrichtungen. In Bietigheim-Bissingen müssten dafür 50 Millionen Euro investiert werden. Eine Studie der Stadt stellt die Frage: Geht das nicht am Bedarf der Menschen vorbei?

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Ein neues Schwimmbad, eine wettkampftaugliche dreiteilige Großsporthalle, ein Stadionausbau mit überdachter Sitzplatztribüne für Regionalliga-Fußballer und für Leichtathletik-Events: Wo viel und erfolgreich Sport getrieben wird, wachsen Zwänge und Begehrlichkeiten, wie die Wunschliste von Sportvereinen in Bietigheim-Bissingen zeigt.

 

Die Stadtverwaltung hat jetzt eine 50 Seiten dicke Studie zur Sportstättenplanung vorgelegt, die dem Gemeinderat bei der Entscheidung darüber helfen soll, was er in den nächsten Jahren für den Sport ausgeben will. Grundlage dafür sind Umfragen bei den Sportvereinen, Schulen und Kindergärten. Wollte sie alle Hoffnungen wahr machen, wäre die Stadt ihren „Schuldenfrei“-Status allerdings schnell los: Sie müsste dann nach groben Berechnungen an die 50 Millionen Euro investieren. „Und ich bin nicht der Ansicht“, sagt Rathauschef Jürgen Kessing (SPD), „dass eine Stadt sich für Sportstätten verschulden sollte.“

Trendsportarten werden wichtiger als mancher Vereinssport

Das Positionspapier birgt einige Brisanz. Denn im Kern besagt es: Nicht der organisierte Sport allein darf bei der Betrachtung im Mittelpunkt stehen, viel stärker müsse man stattdessen Veränderungsprozesse und Trends in der Sport- und Bewegungskultur in den Fokus nehmen. Der Grund: Immer mehr Menschen machen nicht im Verein, sondern selbstorganisiert Sport – auf dem Fahrrad, joggend, walkend, wandernd oder Gymnastik treibend. Oder sie trainieren individuell in Fitnessstudios.

Zudem stehen Studien zufolge nicht mehr Leistungsstreben oder Wettkampflust im Vordergrund, sondern Aspekte wie Gesundheit, Fitness und Ausgleich. Die Vorlage zur Sportstättenplanung folgert: „Künftig gilt der gesellschaftspolitische Auftrag, über den klassischen Vereinssport hinaus alle Sportaktiven in den Blick zu nehmen.“

Im Haushalt 2019, der am Dienstagabend eingebracht wurde und der Investitionen von 26 Millionen Euro vorsieht, hat die Stadt erst einmal gar kein Geld für neue Sportstätten eingestellt. Das heißt nicht, dass sie nichts anpacken will – schließlich bezeichnet sie sich als Sportstadt, ist stolz auf erfolgreiche Aushängeschilder und unterstützt Sportler etwa durch die kostenlose Überlassung von Sportstätten.

Das Hallenbad steht oben auf der Dringlichkeitsliste

Die Entscheidung, was man sich leisten möchte, will die Stadt aber dem Gemeinderat überlassen. Sie hat die dringlichsten Anliegen herausgefiltert, doch bewusst ohne Priorisierung, sagt Oberbürgermeister Kessing. „Bei objektiver Betrachtung mit gesundem Menschenverstand ergibt sich aber ein natürliches Ranking“, sagt er. So verträgt das marode Bissinger Hallenbad, für dessen Filtertechnik kaum noch Ersatzteile gibt, keinen Aufschub. Es könnte als Sportbad mit neuem Standort beim Freibad Wiedergeburt feiern. Mit 25-Meter-Becken würde das grob zehn Millionen Euro kosten, mit 50-Meter-Becken um die 22 Millionen. Praktisch für die Stadt: Das Bad würden die Stadtwerke bauen.

Den gewünschten Stadionausbau veranschlagt die Stadt auf bis zu acht Millionen Euro. Für Schulsport und Vereinstraining bräuchte es zwei weitere oder eine teilbare Halle, hat die Stadt überschlagen – mancher Verein verhängt wegen der drangvollen Enge schon Aufnahmestopps. Die Bietigheimer Handballer wünschen sich aber eine bundesligataugliche Halle mit Tribünenplätzen und VIP-Räumen. Die würde mit bis zu 2000 Plätzen 15 bis 18 Millionen Euro kosten, so die Berechnung. „Es ist aber nicht so, dass die Handballer sonst auf der Straße stünden“, sagt Kessing. Die Ege-Trans-Arena mit 4500 Plätzen habe ihre Feuertaufe bestanden. Bei großem Zuschauerandrang könne man auch mal nach Stuttgart oder Ludwigsburg ausweichen.

Nur zwei Vereine wollen selbst Bauherr werden

Selbst als Bauherrin in den Ring zu steigen, ist laut Umfrage für die wenigsten eine Option. Zwei Vereine könnten sich vorstellen, mit Unterstützung der Stadt so genannte Kalthallen zu bauen – wetterunabhängige, überdachte Kleinspielfelder.

Und jetzt? „Erst mal lesen und sacken lassen“, empfahl der Kultur- und Sportamt-Chef Stefan Benning den Räten bei der Aushändigung der Studie. Sie dürften sich auf einen heißen Herbst einstellen, wenn es gilt, im Diskurs mit den Sportvertretern Wünsche zu erfüllen – oder zu beerdigen.