Die Kontroverse über die Lehrerlaubnis bei Dozenten für den islamischen Religionsunterricht in Freiburg und Weingarten stößt an Stuttgarter Schulen auf Unverständnis. Dort gilt dieser Unterricht als „Erfolgsmodell“.
Welche Werte vermittelt der islamische Religionsunterricht (IRU) an staatlichen Schulen? Nach der öffentlich geäußerten Kritik der Ethnologin und Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, an der Konstruktion der Lehrerausbildung in Baden-Württemberg und dem Vorwurf der Einflussnahme durch rückwärtsgewandte Islamvertreter sehen Stuttgarter Schulleiter den islamischen Religionsunterricht zu Unrecht in Misskredit gezogen. Die Islamforscherin hatte gegenüber der Stuttgarter Zeitung moniert, dass die beiden in der Stiftung Sunnitischer Schulrat vertretenen Islamverbände nur eine kleine Minderheit im Land repräsentierten und für ein undemokratisches Islamverständnis stünden, „das an staatlichen Schulen nichts zu suchen hat“. Anlass war, dass der Sunnitische Schulrat zwei liberalen Dozenten keine Lehrerlaubnis erteilt hat.
Porsche-Gymnasium „entsetzt und betrübt“
„Entsetzt und betrübt“ über diese Darstellung zeigt sich Ulrich Göser, der Leiter des Ferdinand-Porsche-Gymnasiums in Stuttgart-Zuffenhausen. „Denn mit der vernichtenden Diskussion über die Stiftung wurde die konkrete erfolgreiche Arbeit der IRU-Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen indirekt angegriffen.“ Somit komme dieser Unterricht „in eine Verteidigungslinie, die er aufgrund seiner Arbeit gar nicht verdient hat“, so Göser. Das Porsche-Gymnasium habe vor einem Jahr den IRU eingeführt, dessen Lehrer sei auch Englischlehrer, habe türkische Wurzeln, spreche auch Arabisch, habe in London studiert und sei „ein Geschenk und ein Gewinn für unsere Schule“.
Islamischer Religionsunterricht kommt in der Schülerschaft gut an
Viele Eltern hätten sich den IRU gewünscht. Denn von den 775 Schülerinnen und Schülern am Porsche-Gymnasium seien 241 sunnitischen Glaubens. Deshalb habe man den IRU gleich von Klassenstufe fünf bis neun angeboten, die meisten Schüler hätten das Fach Ethik dafür verlassen. In der Klassenstufe fünf seien die 45 Sunniten sogar in der Mehrheit gegenüber 17 Katholiken, zwölf Evangelen, fünf Griechisch-Orthodoxen und 22 Sonstigen. Ein Vater habe die Sorge geäußert, dass der Moscheeunterricht untergraben werde, berichtet Göser. In der Schülerschaft komme der IRU gut an, auch bei Mädchen mit und ohne Kopftuch. Der Lehrer sei beliebt. „Da wird kontrovers diskutiert“, so der Rektor, auch über das Rollenbild der Frau und die verschiedenen Auslegungen des Islam. Denn im Unterricht säßen Bosniaken, Türken, Iraker, Bangladescher und viele andere, da komme es oft zu spannenden Diskussionen über den „richtigen Islam“. „Bei unserer Schülerschaft ist das eine Identitätsstärkung“, versichert Göser – „für mich ist das ein Erfolgsmodell“. Der Bildungsplan des IRU enthalte dieselben prozessbezogenen Kompetenzen wie der in Ethik oder evangelischer oder katholischer Religion.
Nicht missionieren, sondern die Reflexion anregen
Auch am Neuen Gymnasium Leibniz in Feuerbach, das als Pilotschule seit sieben Jahren IRU anbietet, ist Rektor Stefan Warthmann über die Kritik der Ethnologin überrascht. Denn: „Der Bildungsplan ist vom Kultusministerium vorgegeben, Staat und Religionsvertreter teilen sich die Aufsicht.“ Das sei wie bei den christlichen Kirchen, auch diese redeten bei der Lehrerlaubnis mit. Es gehe im IRU nicht darum, heimlich zu missionieren, sondern die Reflexion der Schüler anzuregen und die Antworten der Religion kritisch zu hinterfragen. Die IRU-Lehrer hätten an der Uni studiert, seien Landesbeamte und an den Bildungsplan gebunden. „Ich will einen aufgeklärten Islam, und der kommt eher aus den Schulen“, meint Warthmann, der selber katholische Religion unterrichtet.
Grundschulrektorin: Ethik für religionslose Kinder
Auch an der Schwabschule im Stuttgarter Westen ist Rektorin Elisabeth Tull voll des Lobes über den IRU. Denn die Grundschule war von Anfang an als Pilotschule dabei, seit dem Start des damaligen Modellprojekts 2006. Ziel sei ja gerade gewesen, „dass die Kinder nicht irgendwelchen Hasspredigern ins Netz gehen und Plattitüden aufsitzen“, wie eine Sprecherin des Kultusministeriums es einmal formuliert hat. Tull ist froh über die „hervorragende Lehrkraft, die auch Klassenlehrerin ist und ganz normal hier eingesetzt ist – eine sehr moderne und dynamische Frau, da gab’s noch nie ein Problem“. Auch die Eltern schätzten das sehr. „Es wäre für uns ein herber Verlust, wenn es da Probleme gäbe und der IRU neu aufgebaut werden müsste“, so Tull. An der Schwabschule seien es etwa je zu einem Viertel sunnitische, evangelische, katholische Kinder und welche ohne Religion. Für Letztere gebe es gar kein Angebot. Für diese würde Tull sich wünschen, „dass Ethik in der Grundschule fest verankert wird“.
Zu wenig Lehrkräfte
In Stuttgart belegen den IRU laut Regierungspräsidium 1506 Schüler. Die Schulen entscheiden selber, ob sie dies anbieten. Aktuell sind es zwei Gymnasien mit insgesamt 260 Teilnehmern sowie elf Grundschulen mit 629 und sieben Real-, Werkreal- und Gemeinschaftsschulen mit 617 Schülerinnen und Schülern. Allerdings könne an der Pragschule und der Grundschule Obertürkheim derzeit kein IRU angeboten werden, weil keine Lehrkräfte verfügbar seien, so das RP. Pandemiebedingt dürften Risikogruppen und Schwangere bei den Kleinen nicht unterrichten.
An der PH ist Islamische Theologie gut nachgefragt
An der PH Ludwigsburg sei das Fach Islamische Theologie/Religionspädagogik „noch im Aufbau und wird gut nachgefragt“, so PH-Sprecherin Anne Nörthemann. Aktuell belegten es 100 Studierende, fürs nächste Semester hätten sich 20 beworben. Bisher habe man noch keine Bewerber abweisen müssen. Zu den Dozenten zählten ein Juniorprofessor, der an der Uni Wien in Philosophie promoviert habe, sowie zwei einschlägig ausgebildete akademische Mitarbeiter. Die Stellenbesetzung sei mittels unabhängiger Besetzungs- und Berufungskommissionen erfolgt und mit Einvernehmen des Wissenschaftsministeriums.
Kultusministerium: kein Anlass zur Besorgnis
„Das Kultusministerium steht vorbehaltlos zur Stiftung Sunnitischer Schulrat“, erklärte ein Ministeriumssprecher. Ziel sei weiterhin, den islamischen Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen auszubauen. Die Zusammenarbeit mit dem ehrenamtlichen Stiftungsvorstand sei „sehr gut und konstruktiv“. Es gebe keinerlei Anlass zur Besorgnis, dass im Vorstand radikale, extremistische oder anderweitig problematische Ansichten vorhanden seien. Und die Frage nach der Repräsentativität stelle sich nicht: „Es sind bisher keine anderen Verbände auf das Land zugekommen.“