„Volksverdummung“ sei das Opern-Bürgerforum gewesen, behauptet der Hauseigentümerverein Haus & Grund, der auch sonst kein gutes Haar an der Opernsanierung lässt. Die Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, Barbara Bosch, verteidigt das Verfahren.

Der Stuttgarter Wohnungseigentümerverein Haus & Grund hat scharfe Kritik an der milliardenschweren Sanierung und Erweiterung des Stuttgarter Opernhauses geübt und zugleich die Repräsentativität der Bürgerbeteiligung bei dem Mammutprojekt in Frage gestellt. Im Interview mit unserer Zeitung kontert die Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, Barbara Bosch (parteilos), die Vorwürfe und erklärt, warum sie auch künftig an dem Verfahren festhalten will.

 

Frau Bosch, der Hausbesitzerverein Haus & Grund hält das Bürgerforum zur Opernsanierung vom Herbst 2020, das mit klarer Mehrheit für die Sanierung der Oper auf Basis der Kostenschätzung von einer Milliarde Euro votiert hatte, für „Volksverdummung“. Die Umfrage des Steuerzahlerbundes, bei der sich eine große Mehrheit in Stadt und Land für eine kostengünstigere Sanierungsvariante ausgesprochen hatte, spiegele dagegen den wahren Volkswillen wider. Hat Haus & Grund recht?

Nein. Was ist zu erwarten, wenn ins Blaue hinein gefragt wird, ob eine Milliarde Euro für ein Kulturprojekt zu teuer ist? Die Frage ist auf die Antwort angelegt. Sie zielt auf Schwarz oder Weiß – entweder dafür oder dagegen. So trivial ist das Thema nicht. Die Bürgerforen sind darauf ausgelegt, die Vielfalt der Bevölkerung hinsichtlich Alter, Geschlecht, Stadt/Land zu spiegeln. Damit wird auch die Vielfalt von Meinungen integriert. Alle notwendigen Unterlagen wurden für die Beratung transparent aufbereitet, Befürworter wie Gegner kommen zu Wort. Außerdem waren alle Informationen auf dem Beteiligungsportal des Landes öffentlich zugänglich, dort fand eine umfassende Online-Beteiligung statt. Bürgerforen haben eine andere Qualität. Das liegt schon an der Zeit, die sich die Teilnehmenden dafür nehmen.

Die Kritik bezieht sich ja auch darauf, dass damals nur 56 repräsentativ ausgewählte Zufallsbürger aus Stadt und Land ein positives Votum abgegeben haben – bei der jüngsten Online-Umfrage des Steuerzahlerbundes waren es 2000. Muss bei künftigen Partizipationsverfahren dieser Art nicht der Teilnehmerkreis erweitert werden?

Wenn man dieses Argument als tragfähig betrachten würde – wie gut geben dann 2000 willkürlich Befragte die Meinung von mehr als elf Millionen Baden-Württembergern wider? Darum geht es aber nicht. Im Bürgerforum hat sich ein möglichst guter Bevölkerungsquerschnitt intensiv und ergebnisoffen mit Pro und Contra befasst, kontrovers diskutiert und abschließend eine Empfehlung abgegeben, was getan werden sollte. Also konstruktiv, nicht einfach nur zustimmend oder ablehnend. Den Menschen, die sich hier freiwillig und ohne eigene Vorteile engagiert haben, vorzuwerfen, dass sie einer „Volksverdummung“ gedient hätten, empfinde ich als respektlos. Dazu passt, dass Haus und Grund einen grundlegenden Aspekt übersieht. Bürgerforen mit Zufallsbürgern sind vom Landtag durch Gesetz geregelt. Das Verfahren steht also auf einem europaweit einmalig festen Fundament.

Die große Hoffnung Ihrer Vorgängerin im Amt, Gisela Erler, war es, durch das Bürgerforum die jahrelange öffentliche Kontroverse um das Großprojekt Oper zu befrieden. Hat diese Hoffnung getrogen?

Das Bürgerforum hat gewichtige Streitpunkte befriedet. Die Sanierung, Modernisierung und Erweiterung der Württembergischen Staatstheater ist ein auf viele Jahre angelegtes Projekt. Wir arbeiten in mehreren Stufen – mit Planungsraten, Interimsstandorten, Architekturwettbewerben. Da wird es immer wieder zu Diskussionen kommen. Land und Stadt haben mit der transparenten Kosten- und Risikoplanung sehr früh und offensiv für diesen Prozess geworben. Die Bürgerbeteiligung gehört als integraler Bestandteil zu diesem Großprojekt dazu und bringt wichtige Argumente und Sichtweisen ein.

Werden Sie trotz der harschen Kritik auch bei künftigen Beteiligungsverfahren an dem Format festhalten?

Selbstverständlich. Alle wissenschaftlichen Untersuchungen von neutraler Seite bestätigen die Wirksamkeit der dialogischen Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg. Die Qualität der Planungen verbessert sich auch inhaltlich. Wir wollen wie im Koalitionsvertrag vereinbart diese Form der dialogischen Beteiligung nun sogar ausweiten auf alle wichtigen Gesetzesvorhaben im Land. Wir verschaffen insbesondere den vielen stillen Stimmen in der Bevölkerung ein Gehör, die es gegen die lauten Interessengruppen schwer haben. Die Bevölkerung wird durch Menschen, die deren Zusammensetzung wiedergeben, früh in politische Prozesse und Verfahren eingebunden. Die dialogische Bürgerbeteiligung, wie wir sie praktizieren, leistet damit einen ganz wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt in unserem Land und stärkt den demokratischen Diskurs.

Reutlinger Oberbürgermeisterin

Werdegang
 Barbara Bosch (64) ist in Stuttgart geboren. Ihr politisches Wirken begann in Fellbach: 1990 wurde sie dort Leiterin des Sozialamtes, dann Leiterin des persönlichen Referats des OB. 1997 wurde sie Beigeordnete im Fellbacher Rathaus.

Positionen
 2003 wurde Bosch zur Oberbürgermeisterin von Reutlingen gewählt, acht Jahre später im Amt bestätigt. Von 2011 bis 2016 war sie zudem Präsidentin des baden-württembergischen Städtetags, 2018 wurde sie als erste Frau zur Präsidentin des Landesverbands Baden-Württemberg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gewählt.  Ein Jahr später trat sie bei der Reutlinger OB-Wahl nicht mehr für eine dritte Amtsperiode an. Im Sommer vergangenen Jahres wurde die parteilose Bosch als Nachfolgerin von Gisela Erler zur Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung gekürt.