Der Streit um die Kennzeichnungspflicht für Polizisten entwickelt sich zum Running Gag der grün-roten Koalition in Baden-Württemberg. Nun hat das Landespolizeipräsidium ein detailliertes Konzept entwickelt. Aber nur eine Partei findet es gut.

Stuttgart - Es ist die Preisfrage der grün-roten Koalition: Kommt die Kennzeichnungspflicht für die Polizei – oder kommt sie nicht? Innenminister Reinhold Gall (SPD) gibt darauf wechselnde Antworten. Anfang August 2014 etwa ließ er verlauten, er werde „mit den Koalitionsfraktionen intensiv erörtern, ob wir die Kennzeichnungspflicht tatsächlich einführen wollen.“ Tendenz: Ablehnung. Ende Dezember ließ Gall dann wissen, er sei zwar immer noch kein Freund der Kennzeichnungspflicht, wolle das Projekt nun aber angehen. Zuletzt gab er wieder zu erkennen, dass die Kennzeichnungspflicht für ihn keine Priorität habe und dass es damit in dieser Legislatur nichts mehr werde.

 

Dabei ist die Sache im Grunde längst geregelt. Im Koalitionsvertrag von Grünen und SPD heißt es unzweideutig: „Wir werden eine individualisierte anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei so genannten Großlagen einführen, unter strikter Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Polizisten.“ Wie das funktionieren kann, ist inzwischen ebenfalls klar. Das Landespolizeipräsidium hat ein „Umsetzungskonzept Individualkennzeichnung“ erarbeitet, das die Implementierung der Kennzeichnungspflicht in allen Facetten normiert. Das Konzept liegt unserer Redaktion vor.

Polizeigewerkschaften laufen Sturm

Vorgesehen ist eine fünfstellige nach dem Zufallsprinzip vergebene Ziffernfolge, der die Länderkennung „BW“ vorangestellt wird. Das dient der zweifelsfreien Identifizierung auch bei länderübergreifenden Einsätzen. Und darum geht es ja: mögliches Fehlverhalten von Polizisten etwa bei Großdemonstrationen personenscharf zuordnen zu können. In den Koalitionsverhandlungen war das ein Anliegen der Grünen, die sich auf den unglücklichen Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten am 30. September 2010 beriefen.

Gall trug das Vorhaben von Anfang nur widerwillig mit; die SPD sieht in der Polizei eine wichtige Wählerklientel. Die Opposition ist dagegen. Sie spricht von einer Misstrauensbekundung gegenüber der Polizei. Die beiden heftig konkurrierenden Polizeigewerkschaften laufen ohnehin Sturm gegen das Projekt, keine will sich in ihrem Protest übertreffen lassen.

Dabei trägt das Konzept des Landespolizeipräsidiums Sorge, dass die Polizisten namentlich nicht bekannt werden. Ohnehin sollen die Nummern nur in „geschlossen stehenden Einheiten“ sowie in den Alarmhundertschaften zum Einsatz kommen. In Fällen, in denen dennoch eine Gefährdung der Polizisten nicht auszuschließen ist, kann auf die Kennzeichnung verzichtet werden. In der Vergangenheit wurden als Beispiele etwa Einsätze im Rockermilieu genannt. Jeder Polizist in den in Frage stehenden Einheiten erhält drei verschiedene Nummern, über die er selbstständig verfügt. Die Beamten allein bestimmen, wann sie welche Nummer tragen. Und sogar daran ist gedacht: Die Nummer 20489 wird nicht vergeben. Es handelt sich um das Geburtsdatum von Adolf Hitler. Die Kosten für das Projekt betragen 250 000 Euro.

Sechs Bundesländern sind schon soweit

Das Projektteam im Landespolizeipräsidium geht davon aus, dass es für die Kennzeichnungspflicht keines eigenen Gesetzes bedarf, sondern in die „Leitlinien zur Dienst- und Zivilkleidung sowie zum äußeren Erscheinungsbild der Polizei Baden-Württemberg“ gepackt werden kann. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz rät indes zu einer gesetzlichen Regelung, da es sich um einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht handle.

In sechs Bundesländern gibt es bereits eine Kennzeichnungspflicht. In Brandenburg ist sie per Gesetz geregelt, in Berlin, Bremen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Hessen mit Verwaltungsvorschriften. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) sieht in der Kennzeichnungspflicht die Chance, friedlichen Kundgebungsteilnehmern zu zeigen, dass der Polizei mit neuem Vertrauen begegnet werden könne.

Edith Sitzmann, die Grünen-Fraktionschefin im baden-württembergischen Landtag, sieht solche Äußerungen als Beleg für die eigenen Position: „Überall, wo die Kennzeichnungspflicht eingeführt wurde, haben sich die Wogen schnell geglättet.“ Kein Beamter müsse fürchten, für Außenstehende persönlich identifizierbar zu sein. „Ein Erkennungszeichen stärkt das Vertrauen der Bürger in die Polizei.“

In Rheinland Pfalz gibt es auch einen Polizeibeauftragten

Aber wird das Konzept des Landespolizeipräsidiums jetzt auch umgesetzt? Ein Sprecher des Innenministeriums verweist auf den Koalitionsausschuss. Dort wurde das Thema mehrfach, allerdings ergebnislos beraten. Die SPD-Fraktion hatte sich in der Vergangenheit gegen die Kennzeichnungspflicht ausgesprochen. Es werden auch Überlegungen ventiliert, eine Art Ombudsmann für die Polizei einzusetzen. Im Innenministerium denkt man an einen Vertrauensanwalt für Bürgerbeschwerden, also einen niedergelassenen Rechtsanwalt – vergleichbar etwa mit dem Vertrauensanwalt zur Korruptionsverhütung. In Rheinland-Pfalz gibt es einen Bürgerbeauftragten, der beim Landtag angesiedelt ist und zugleich als „Beauftragter für die Landespolizei“ fungiert. Er dient als Anlaufstelle für Bürgerbeschwerden, aber auch als Ansprechpartner für Polizisten, die außerhalb des Dienstwegs Eingaben an den Polizeibeauftragten richten können. Mit diesem Modell könnten sich die Grünen anfreunden, allerdings als Ergänzung, nicht als Ersatz zur Kennzeichnungspflicht.