Im Kampf gegen zu viel Tourismus sucht die Reisebranche den Dialog mit den Bewohnern vor Ort. Einige betroffenen Kommunen, das wurde auf der Reisemesse CMT deutlich, binden die Einheimischen bei den Plänen von Anfang an mit ein – ein gutes Beispiel ist da die Insel Norderney.

Stuttgart - Das große Thema der Reisebranche ist Overtourism. Das bedeutet einerseits, dass so viele Touristen kommen, dass sie gar nicht mehr das erleben können, weswegen sie eigentlich verreisen, weil der Urlaubsort schlicht überfüllt ist. Anderseits wehren sich die Einheimischen, weil sie ihr eigenes Leben nicht mehr führen können. In Barcelona und Palma de Mallorca gingen Tausende Einwohner auf die Straßen und protestierten den Ausverkauf ihrer Heimat.

 

Neu ist das Thema nicht. Die Debatte darüber, wie viele Gäste ein Reiseziel aushält, wurde bereits Mitte der Siebzigerjahre geführt, vor allem mit Fokus auf den Umweltschutz. Dass nun auch zunehmend Stadtbewohner über Tourismus klagen, gibt der Diskussion aber neuen Schwung. Auf der Urlaubsmesse CMT wurde beim Destination Day der Fachzeitschrift fvw von Tourismusexperten unter dem Stichwort Steuerung statt Wachstum über mögliche Wege referiert und diskutiert.

Mitarbeiter analysieren Bewegungsmuster der Touristen

Overtourism – dieses Problem sieht Burkhard Kieker, Geschäftsführer des Berliner Tourismusmarketing, für die Hauptstadt aktuell noch nicht, obwohl die Hauptstadt im vergangenen Jahr 33 Millionen Übernachtungen verbuchte und damit in Europa hinter Paris und London auf Platz drei rangiert. Berlin muss aber nicht nur den Besucherandrang verkraften – in den vergangenen vier Jahren ist die Metropole um 300 000 Einwohner gewachsen. „Es ist deshalb falsch, alle Probleme einer Stadt allein den Touristen anzulasten“, sagt Kieker. Der Marketingprofi setzt auf Prävention statt Reaktion und führt zwei warnende Beispiele auf – das ist zum einen Venedig, das nicht mehr in der Lage ist, die Anzahl der Touristen aufzunehmen, wenn die großen Kreuzfahrtschiffe ankommen. Oder das Beispiel Amsterdam, das seine Tourismus-Marketing abgeschafft hat, weil zu viele Gäste kommen.

Aktuell würden laut Kieker 87 Prozent der Berliner den Tourismus für die Stadt gut finden. Damit es so bleibt, könnte das neue Tourismuskonzept die passende Strategie sein. „Es geht dabei um räumliche Differenzierung, das bedeutet, dass Touristenströme von den zwei boomenden Stadtteilen Mitte und Kreuzberg in zehn nicht so frequentierte Viertel gelenkt werden“, sagt Burkhard Kieker. Deshalb wurden sieben neue Mitarbeiter eingestellt, die sich ausschließlich mit dem Bewegungsmuster der Touristen in der Stadt beschäftigen. Ein weiterer Punkt ist der bessere Austausch zwischen Bewohnern und der Tourismuswirtschaft, der in einem Bürgerbeirat erfolgen soll.

Norderney: Bürger verhindern Bau des Golfplatzes

Overtourism betrifft längst nicht mehr nur die Barcelonas und Venedigs dieser Welt, sondern längst auch ländliche Gebiete, wo deutlich wird, dass es nicht so sehr um die Anzahl der Gäste geht, sondern es geht um die Frage: Welchen Tourismus möchte man dort haben? Welche Verbindung zwischen Gast und Gastgeber soll es zukünftig geben? Eine Antwort darauf hat Wilhelm Lotz, Kurdirektor und Geschäftsführer vom Staatsbad Norderney gefunden. Bei 6000 Einwohnern und 23 500 Betten verzeichnet die Nordseeinsel 500 000 Gäste pro Jahr. „Wir binden unsere Bürger bei neuen Tourismusprojekten von Beginn an ein“, sagt Lotz. So wurde vor dem Umbau des großen Badehauses, welches das größte Thalassoprogramm, sprich ein großes Angebot an unterschiedlichen Kursen, Europas anbietet, eine vierwöchige Auftaktveranstaltung gestartet, bei dem die Inselbewohner ihre Ideen einbringen konnten.

Die geplante Erweiterung des Golfplatzes wurde aufgrund des Widerstands der Einheimischen gestoppt. Mit der Stadtverwaltung arbeitet Lotz Hand in Hand. Auf Norderney setzt man auf die beiden Kampagnen Lebensraummarketing und Erfahrungsmarketing. „Wir bilden zum einen Nationalparkranger aus und haben eine Kinderkurdirektor im Amt, der einen Etat von 50 000 Euro verwaltet“, sagt der Geschäftsführer.

Die Inselbewohner finden sich zudem auf Fotos in Prospekten, Werbefilmen und der Inselzeitung wieder. „Wir arbeiten nur mit heimischen Models“, sagt Lotz. Diese Form der Bürgerbeteiligung hilft größere Konflikte zu vermeiden. „Wir sind auch keine Insel der Glückseligen, aber das mitsteuern kann helfen, Overtourismus zu verhindern.“