Die Ludwigsburger Schlossfestspiele haben zur „Song Conversation“ im Stuttgarter Kunstmuseum den Jazzpianisten Joachim Kühn mit amerikanischen und afrikanischen Kollegen zusammengebracht.

Stuttgart - Der Satz von Herbert Marcuse, dass der Weg zur Wahrheit durch das Reich der Schönheit führen soll, könnte eine Maxime der Song Conversation sein, dieser exquisiten Festivalreihe der Ludwigsburger Schlossfestspiele. „Eine Reise durch die Kulturen zur Poesie unserer Zeit“, so formuliert es der Intendant Thomas Wördehoff. Nachdem er die Filmdokumentation „Feel Like Coming Home“ von Martin Scorsese gesehen hatte, bei der Corey Harris auf Ali Farka Touré trifft, den 2006 verstorbenen „König des Wüstenblues“, entstand der Plan, solch ein Konzert zu organisieren. Wördehoff macht es nicht wie viele andere Festivalleiter, die Bands einfach schnell zusammentelefonieren, er lädt vielmehr Musiker ein, ein paar Tage in einem hübschen Hotel zu verbringen, einander kennenzulernen und ein Musikprojekt zu entwickeln. Nach dem erfolgreichen Auftritt letztes Jahr mit Judith Holofernes, Gisbert zu Knyphausen und Käpt‘n Peng findet die Song Conversation auch 2017 im Stuttgarter Kunstmuseum statt.

 

Am Sonntagabend tritt da ein Quintett auf, das zuvor noch nie aufgetreten war und in dieser Besetzung wohl auch nie mehr auftreten wird. Joachim Kühn – mehrfach als bester europäischer Jazzpianist ausgezeichnet – fungiert dabei als musikalischer Brückenbauer zwischen Afrika und Amerika. Tief beugt sich der 73-jährige Wuschelkopf mit geschlossenen Augen und vorgewölbter Unterlippe über die Tasten, bewegt sein Haupt wie in Trance hin und her und legt derart fingerfertig los, dass man gleich versteht, weshalb er auch „Franz Liszt des Jazz“ genannt wird. Sein Credo: Man muss selbst frei sein, um frei improvisieren zu können. Der gebürtige Leipziger lebt seit vielen Jahren auf Ibiza, sozusagen zwischen Europa und Afrika. Bei diesem Konzert wird seine Komposition „Transmitting“ gespielt, und er ist das Bindeglied zwischen dem Spießlautenspieler Bassekou Kouyaté aus Mali und Corey Harris, dem Reggae- und Blues-Gitarristen aus Denver, der als Anthropologe ein besonderes Interesse an der ursprünglichen Musik Afrikas hat. Das Festival-Quintett komplettieren Majid Bekkas, ein langjähriger Wegbegleiter Kühns und ausgezeichneter Kastenlautenspieler aus Marokko, dem die Bassfunktion zufällt, sowie der tolle Perkussionist Moctar Kouyaté, ein jüngerer Bruder von Bassako.

Mississippi-Blues trifft auf afrikanische Rhythmen

Beim Konzert im Kunstmuseum trifft der Mississippi-Blues auf seine afrikanische Wurzeln. Das ist eine spannende Begegnung, die durch die fulminanten Improvisationen Joachim Kühns an Schärfe gewinnt. Es entsteht ein faszinierender Sound, in dem afrikanische Archaik und wohltemperiertes Klavier zusammenfinden. Die Wiederholung pentatonischer Skalen mit kleinen Intervallen führt in tranceartige Stimmungen, die Kühn mit Free-Jazz-Passagen vehement aufbricht. Das hier soll keine 1001-Nacht-Musik werden; den Musikern geht es nicht um exotische Verklärung, sondern um Wahrhaftigkeit, um Musik als existenzielles Lebensgefühl, angetrieben durch den Herzschlag eines Rhythmus, der schlicht und eindringlich sein kann, aber auch komplex, synkopisch und von Cross-Beats durchkreuzt.

Während Moctars Hände auf die kugelrunde Kalebasse prasseln und ein rhythmisches Feuerwerk entfachen, erklingt der ungeschminkte Gesang von Gimbri-Spieler Majid Bekkas, und der Blues klettert lustvoll auf arabischen Skalen herum. Erstaunlich, wie Bassako seiner Laute, die kleiner ist als eine Ukulele, eine solche Vielzahl von hübschen Tönen entlockt, ohne auch nur einmal auf die drei Saiten zu blicken. Joachim Kühns Klavierspiel, das von Bach und zeitgenössischem Jazz geprägt ist, beflügelt seine Kollegen, besonders den großen schwarzen Mann mit der kleinen Ngoni-Laute. Was Kühn mit den Blues-Harmonien anstellt, die er wie Spielbälle in der Luft hält, wie er Reibung erzeugt und unvermittelt wieder auflöst, die Noten Purzelbäume schlagen lässt und tierisch groovt, ist atemberaubend.

Weltmusik von ihrer besten Seite

Der Wüstenblues entfaltet eine Sogwirkung, der sich keiner entziehen mag. Angenehm schaukelt der Blues, spielerisch leicht berührt er die Seele, und kraftvoll fährt er in den Körper. Auch in weiße Stuttgarter Körper. Viele Besucher nicken im Takt, wippen mit dem Fuß und wiegen sich auf ihren Stühlen diskret in den Hüften. Als Corey Harris den Delta-Blues „Special Rider“ von Skip James singt, kommen sich Afrika und Amerika auf einmal ganz nahe, und der mächtige Ozean, über den einst Sklaven verfrachtet wurden, scheint geschrumpft. Die fünf Musiker inspirieren sich gegenseitig und finden einander offensichtlich sehr sympathisch. Die dunkelhäutigen Kollegen staunen über Kühns genialische Improvisationen und strahlen. Der Funke ihrer unbändigen Spielfreude springt über auf das begeistert mitgehende Publikum. Bei der überraschenden Zugabe „Guantanamera“ singt, angeleitet vom Showman Bassako Kouyaté, der ganze Saal lauthals mit. Ein großartiges Konzert geht da zu Ende. Die Weltmusik hatte sich von ihrer besten Seite gezeigt: als völkerverbindendes Experiment, bei dem die Kunst der Wirklichkeit wieder einmal meilenweit voraus war.