Vor Konzert m LKA/Longhorn Lostboi Lino: „In Stuttgart wird wenig für Künstler und Kultur getan“

Kehrt diese Woche zum Gastspiel in seine alte Heimat zurück: Lostboi Lino. Foto: karoshiphoto.com/Stephan Zwickirsch

Lostboi Lino vermengt auf der EP „Von Liebe“ wieder Indie, Grunge und Rap. Und er ist von Stuttgart nach Berlin gezogen, „wo man Drogen schneller bestellen kann als Pizza“.

Wenn uns die Popmusik der letzten Jahre eines gelehrt hat, dann, dass Genres tot sind. Lostboi Lino ist einer der Künstler, die in Deutschland maßgeblich dazu beigetragen haben, sie zu Grabe zu tragen. Er ist ungefähr das, was dabei herauskäme, wenn Kurt Cobain mit den Jungs von AnnenMayKantereit eine Rap-Combo gründen würde.

 

Im Mai 2021, dem zweiten Corona-Frühling, veröffentlicht er sein Debüt „Lost Tape“, ein eklektischer Indie-Rap-Abschiedsbrief an seinen Bruder. Die Musik pfeift auf Regeln, die Texte setzen sich mit Geschlechterrollen und überholten Männlichkeitsidealen auseinander, sein Cover des Grönemeyer-Klassikers „Männer“ wird zur Hymne für eine neue Zeit. Und seither? Unzählige Konzerte, große Festivals, ein weiteres Album, Singles, Features, Millionen Streams.

Jetzt ist „Von Liebe“ da. Eine EP mit neun neuen Songs, die aber nur die erste Hälfte eines neuen Albums darstellt. Und einen neuen Lebensabschnitt einläutet. Lostboi Lino hat Stuttgart für Berlin verlassen. „Ich musste raus“, sagt er, „einfach mal raus. Das hatte nichts Persönliches, und wenn ich ehrlich bin, fehlt mir Stuttgart auch. Aber ich brauchte eine neue Perspektive.“ Er liebe die Stadt bis heute und schließe eine Rückkehr keinesfalls aus, „aber in Stuttgart wird einfach wenig für Künstler und Kultur getan.“

Angekommen sei er dennoch noch nicht wirklich in Berlin. „Der Tapetenwechsel hat mir aber auf jeden Fall eine neue Sicht auf die Dinge ermöglicht“, erklärt er – und lacht: „Unter anderem, dass in Stuttgart alles zehn Minuten entfernt ist und in Berlin eine Stunde. Keine Frage, die Stadt hat mich anfangs krass überfordert. Da denke ich besonders gern an Stuttgart zurück und bin mittlerweile auch wieder deutlich lieber hier.“

Berlin schluckt Lostboi Lino mit Haut und Haar – „in dieser Stadt kann man Drogen schneller bestellen als Pizza“. Die Clubs, der Rausch, die Nächte, die Begegnungen. „Ich hatte nach meinem Umzug eigentlich nicht vor, mich auf was Neues einzulassen, habe dann aber doch schnell jemanden kennengelernt. Wie sich erst später herausgestellt hat, war das eine toxische Beziehung. Davon handelt ‚Von Liebe‘, und davon handelt auch der kommende zweite Teil, ,. . . und Entzug‘.“

Lange war ihm gar nicht klar, dass er diese Beziehung in seinen neuen Stücken verarbeitet, die neue Liebe wie auch den Entzug, als das Gegenüber diese Liebe plötzlich zurückzog. „Ich merke teilweise erst seit Monaten, worüber ich da eigentlich singe. Das geschieht alles unterbewusst.“ Das ist typisch Lostboi Lino. Rausch und Melancholie liegen in seinen Texten stets eng zusammen, Euphorie und Zusammenbruch auch.

Jedes Lied: ein Tagebucheintrag

„Klingt klischeehaft, aber jedes Lied ist ein Tagebucheintrag“, erklärt er. „Ein Tagebucheintrag in Moll. Ich liebe Moll nun mal. Ich schreibe aber keine melancholische Musik, nur um melancholisch zu sein; was ich schreibe, muss sich echt anfühlen.“ Deswegen erzählen seine Texte gar nicht von den ganz großen Dingen. Sondern von den Kleinigkeiten, den Nichtigkeiten, den Nebensächlichkeiten, die kaum auffallen. Aber eben doch unser Leben ausmachen. „Es sind gerade die kleinen Bilder, die mich berühren“, sagt Lostboi Lino. „Es kann sein, dass mir im Supermarkt im Obstregal plötzlich ein Einfall kommt, der im Studio ewig auf sich warten ließ.“

Im Indie-Opener „Kein Plan“ singt er von all dem, was ihm als Künstler widerfahren ist, und erinnert dabei an Kraftklubs „Teil dieser Band“. Im abschließenden „Ein Fehler reicht“ gibt er den Crooner mit Akustikgitarre, in „Hölle“ mit Sängerin Reeza empfiehlt er sich endgültig als deutsche Antwort auf Machine Gun Kelly. Der US-Star zerlegt ja bekanntlich auch Genres am Fließband.

NuRap hat Lostboi Lino seine Musik mal genannt. Mittlerweile ist der Rap-Anteil etwas reduzierter. „Ich weiß mittlerweile eher, was ich will, wenn ich ins Studio gehe“, sagt er. „Das heißt aber nicht, dass ich schon ein fertiges Bild von einem Song habe. Manchmal setze ich mich ans Klavier, anstatt mit einem Beat oder an der Gitarre anzufangen.“ Das führt dazu, dass Songs wochenlang liegen oder in wenigen Minuten fertig sind. Planbar ist eh nichts. Wie im Leben auch.

Lostboi Lino: Tour 2025, Donnerstag, 9. Oktober, 20 Uhr, LKA/Longhorn

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