Es ist zwar schon ein paar Jahre her, dass jeder Rock- und Jazzfreund eine seiner Platten daheim hatte. Aber der Gitarrist John McLaughlin spielt noch so frisch und beseelt wie eh und je. Das zeigte er jetzt mit seiner Band 4th Dimension im Stuttgarter Theaterhaus.

Stuttgart - Als „Vishnu“ – das indische Wort für Halbgott – hat sich der Mann früher selbst einmal bezeichnet. Ziemlich anmaßend, selbst in den Ohren vieler Fans. Doch John McLaughlin litt nicht an Minderwertigkeitskomplexen; er galt – nicht nur für Jeff Beck – als bester Jazzgitarrist weltweit. Er hatte sich als Bluesrocker mit Jack Bruce und Ginger Baker einen Namen gemacht, hatte Soul-Star Wilson Pickett auf Tourneen begleitet und sich in der Combo des deutschen Vibrafonisten Gunter Hampel als Jazzmusiker profiliert. Der coole Miles Davis fand ihn so toll, dass er mit ihm die legendären Alben „Bitches Brew“ und „In A Silent Way“ einspielte und verkündete: „John ist ein Killer-Gitarrist“.

 

Unter dem Einfluss seines hinduistischen Gurus Sri Chinmoy entsagte McLaughlin – anders als Miles – Drogen und Alkohol. Dann gründete er das Mahavishnu Orchestra, eine stilprägende Jazz-Rock-Formation, und das Shakti-Projekt, das indischen Klängen zu Popularität in der westlichen Welt verhalf. 1981 erschien das kommerziell sehr erfolgreiche Live-Album „Friday Night in San Francisco“, auf dem McLaughlin, Paco de Lucia und Al di Meola virtuos in die Saiten ihrer Akustikgitarren griffen. Wer damals auf Jazz stand, hatte die LP im Schrank.

Heute, 35 Jahre danach, sagt John McLaughlin als ein großer Freund stilistischer Vielfalt, befinde er sich auf dem Gipfel seines musikalischen Schaffens. Zum Konzert im ausverkauften Theaterhaus ist er mit seiner aktuellen Band am Start, die er „The 4th Dimension“ getauft hat. Ob er dabei Wagners Parsifal im Sinn hatte? „Zum Raum wird hier die Zeit.“ Wer weiß.

Er hält „sein Baby“ im Arm und legt los

„Dagi di daggi dagga di“ singen die vier Musiker ins Mikrofon, den uralten Stakkato-Scat Dhrupad aus Indien, der bei vielen McLaughlin-Stücken als Taktgeber fungiert. Drummer Ranjit Barot aus Mumbai, ein wahres Kraftpaket, inszeniert den Rhythmus mit hoher Präzision und geschmeidiger Wucht. E-Bassist Etienne M’Bappe, ein gebürtiger Kameruner, lebt seit Langem in Paris, wo er etwa mit Ray Charles oder Salif Keita aufgetreten ist. Nach Handoperationen spielt er mit schwarzen Handschuhen, die ihn aber bei seinem pulsierenden Spiel überhaupt nicht behindern. Gary Husband lässt elektronisch erzeugte Klangflächen durch den Saal schweben, und John McLaughlin tut, was er am besten kann.

Er hält seine geliebte Private-Stock-Violin-Gitarre, eine Sonderanfertigung von Paul Reed Smith, im Arm („Mein Baby“) und legt los. Der Brite mit der grauen gescheitelten Mähne und den schnellen Fingern begeistert die Menschen mit E-Gitarrenläufen, die er aus dem Ärmel schüttelt, als wäre das nichts. Viele meinen, da müsse Magie im Spiel sein. Einem der staunenden Amateurgitarristen fällt die Kinnlade herab. Wie macht der das bloß?! Ganz unaffektiert macht er das, so, als sei es das Leichteste, das Selbstverständlichste auf der Welt. Wie bei allen Ausnahmekönnern verbinden sich bei John McLaughlin hohe Konzentration und entspannte Lockerheit, Schnelligkeit und Gelassenheit. Faszinierend wie er bei den Läufen mit einem kleinen triumphierenden Lächeln aus der Kurve heraus beschleunigt, um wie ein strahlender Sieger ins Ziel zu kommen.

Atemlos wirkt er in dieser Nacht kein bisschen. Der Mann ist mit seinen 74 Lenzen noch fit wie ein Turnschuh. Und recht charmant. Seine Ansagen mit Yorkshire-Akzent macht der in Monte Carlo wohnende Meistergitarrist auf Deutsch. Keyboarder Gary Husband käme „aus Brexit“ und fügt kopfschüttelnd hinzu: „Die sind ja so blöd!“ Da lachen die Leute. Die jungen und die älteren, genderübergreifend sind sie nach „Raju“, der ersten Nummer, im Jubel vereint.

Die Musik ist lebendig, kraftvoll und atmet den Glauben an bessere Zeiten

Im über zweistündigen Programm finden sich Kompositionen für Menschen, die John McLaughlin liebt und bewundert. „El Hombre Que Sabía“ wollte er gemeinsam mit Paco de Lucia aufnehmen, doch der wunderbare Flamenco-Gitarrist starb überraschend, und so wurde das Stück eine Verbeugung vor dem „wissenden Mann“. Mit „Señor S“ ist Carlos Santana gemeint, ein alter Weggefährte und spiritueller Freund von John McLaughlin. Santana hat ja noch vor ein paar Tagen den Stuttgarter Schlossplatz gerockt. „Pandit Ji“ ist ein anderer Name für Ravi Shankar, McLaughlins Sitar-Lehrer und Guru, für den auch „Abbaji“ gespielt wird. McLaughlin gibt seinen Musikern Freiräume und lässt sich von ihnen überraschen, provozieren und stimulieren. Multiinstrumentalist Husband dient ihm als musikalischer Spiegel, als Echo und Ideengeber, Barot bringt die nötige Power, und M’Bappe verleiht der Musik Elastizität. Einmal bei „Hijacked“ wird der Freiraum für ein nicht enden wollendes Schlagzeug-Duell allerdings weidlich ausgenützt, aber viele finden das so wie McLaughlin selbst: „Super“.

Der Mann, der seit Jahren in Monte Carlo lebt, schöpft aus vielen Quellen: Er lässt sich vom Blues erden, vom Jazz zu fantastischen Höhenflügen inspirieren, vom Rock'n Roll bezieht er Intensität und Kraft und würzt das Ganze mit indischer Schärfe. Auch wenn das Tempo verlangsamt wird und McLaughlin seine Gitarre wunderschön singen lässt, ist der Rhythmus leiser, aber immer noch sehr nachdrücklich spürbar. Beim musikalischen Angedenken an die Bombardierung von „Gaza City“ breitet sich eine nachdenkliche Stimmung im Saal aus. Als Trauermusik spielt McLaughlin einen Blues, und die Gitarrentöne fallen herab wie Tränen. Doch erstickt diese Musik nicht in Resignation, sie ist lebendig, kraftvoll und atmet den Glauben an Liebe und Verständnis. „Love And Understanding“ sprechen die vier Männer beschwörend in die Mikrofone. Das ist John McLaughlins spirituelle Botschaft, die utopische Qualität gelingender Musik.