Die Fantastischen Vier haben die deutsche Musikbranche geprägt wie kaum eine andere Band. Wir sprachen mit ihnen über neue Konzepte und alte Motivationen.

 Stuttgart - Thomas und Andy haben Kohldampf. Zur Mittagszeit sitzen sie bei einem Abstecher in die alte Heimat im Cannstatter Römerkastell an einem Besprechungstisch, das Essen ist längst geordert, doch der Bringdienst scheint den Weg nicht zu finden. Etwas Warmes braucht der Mensch offenbar, weswegen Thomas D und And. Ypsilon, die Hälfte der Fantastischen Vier, die auf dem Tisch drapierten köstlichen Butterbrezeln unangetastet lassen.

 

Von dieser kleinen Ungemach abgesehen ist die Stimmung jedoch sehr aufgeräumt. Eine kleine Tournee zum Jahresabschluss steht für die Wortakrobaten an, und weil die Herrschaften von den Fantastischen Vier bekanntlich nicht auf den Mund gefallen sind, hebt Thomas D auf die banale Eingangfrage, was man denn vom anstehenden Konzert in Stuttgart erwarten dürfe, zu einer regelrechten Wortkanonade an:

„Ja, die nahe Zukunft führt uns wieder durch die Lande, zum Abschluss des zweiten Teils der ,Für dich immer noch Fanta Sie-Tour’ kommen wir mit einer grandiosen Mittelrundbühne. Das erfreut uns sehr, weil wir uns dagegen eigentlich jahrelang gewehrt haben, weil wir dachten: Och nee, die eine Hälfte des Publikums sieht immer nur den Rücken des Sängers und wartet darauf, dass er sich zu ihnen umdreht. Nun haben wir ja aber einen entscheidenden Vorteil: wir sind drei Sänger und haben uns überlegt, dass dieses Konzept bei uns funktionieren könnte, wenn der Andy in der Mitte steht und die anderen drei außen herum. Und tatsächlich war uns nach der Premiere mit der Mittelbühne im vergangenen Herbst klar: das war das schönste, was wir live erleben durften. Die erste Reihe wird größer, es sind plötzlich Leute vorne, die noch nie vorne waren. Auch die Menschen auf den Rängen sitzen viel näher an der Bühne, das ist auch für die ein ganz neues Erlebnis. Plötzlich stehen die Leute überall. Da kannst du dich nicht mehr einfach von der Bühne wegdrehen, weil du mal in der Nase popeln musst oder etwas trinken willst, denn alle Leute gucken dir jetzt zu. Das war eine tolle Erfahrung. Wir gehen jetzt deshalb mit einer Nachholtour noch mal in die Städte, in denen wir vorher noch nicht waren, und Stuttgart gehört einerseits ja leider auch dazu, weil wir 2010 hier ja das „Heimspiel“ hatten, aber es gehört auch Gott sei Dank dazu, weil wir jetzt zum krönenden Abschluss kurz vor Weihnachten in unserer Heimat spielen dürfen.“

Uff. Vielen Dank für das Gespräch.

Üppige Hallentournee

Noch Fragen? Ja. Denn das Album „Für dich immer noch Fanta Sie“ erschien im Mai 2010. Kurz darauf folgte die zweite Auflage des „Heimspiels“ mit einem Konzert der Fantas auf dem Cannstatter Wasen, im Herbst 2010 folgte dann eine üppige Hallentournee. Dürfte es da nicht etwas schwierig werden, im Dezember 2011 zu sagen, dass man ein paar Stücke vom „aktuellen Album“ spiele? Thomas D lacht. „Vielleicht ist der Abend in Stuttgart der letzte Tag, an dem man es noch behaupten könnte“, sagt er, lässt dann aber unvermittelt eine ganz neue Nachricht heraus: „Wir werden im nächsten Jahr ein neues Album machen, wir haben Lust darauf.“ Aber bis zu dessen Veröffentlichung wird es natürlich noch dauern. „Zeit ist nicht unser Problem, es wird vielleicht im Frühling, vielleicht im Herbst 2013 erscheinen“, erzählt And. Ypsilon, „Ideen und Entwürfe sind schon vorhanden, aber keiner von uns weiß bisher, wo die Reise hingehen wird.“

Das hört man natürlich gerne. Auch wenn er so halt ist, der ewige Kreislauf: Auf ein neues Album folgt eine Tour, darauf ein neues Album und danach wiederum eine Tour. Aber muss das eigentlich so sein? „Ich glaube schon und ich würde sogar meinen: das liegt in unserer Künstlernatur“, sagt And. Ypsilon. Dem eher zurückhaltenden Soundschöpfer der Fantas eilt für gewöhnlich nicht der Ruf einer Quasselstrippe voraus, doch auch er holt nun ein wenig aus. „Wenn man neue Songs hat, dann will man die auch live ausprobieren. Aber irgendwann ist es dann gut, das Thema ist bearbeitet und es muss etwas Neues her. Wir müssen uns ja auch immer wieder neu erfinden, wir können ja nicht irgendwann sagen: ab jetzt schreiben wir keine neuen Songs mehr. Wir haben so viele wirklich gute Stücke, dass wir damit ein zweieinhalbstündiges Konzert bestreiten könnten, ohne dass das blöd kommt. Böse wäre uns das Publikum über ein solches Hitfeuerwerk nicht – aber es ist halt auch unsere Motivation, die daran hängt. Wenn man nur ein Best-of-Programm spielt, bringt das für uns keine Impulse zur Weiterentwicklung. Gerade wenn wir Stücke spielen, die vielleicht nicht so gut ankommen, lernen wir daraus – und das fließt auch in den Schaffensprozess ein.“

Stuttgart ist gute Tradition

Dass eine Tour der Fantastischen Vier ihr Finale stets in Stuttgart findet, ist gute Tradition. Bei den vergangenen Tourneen musste wegen der regen Nachfrage jedoch immer auch noch ein Zusatzkonzert in der Schleyerhalle angesetzt werden. Diesmal ist das nicht der Fall. „Ja“, sagt Thomas D, er schickt noch kurz einen Flachs hinterher, konstatiert dann jedoch: „ Das finde ich selber sehr schade, es stimmt mich sogar ein bisschen traurig.“

War es im Rückblick ein Fehler, nach dem ersten „Heimspiel“ 2009 ein Jahr später zum zweiten „Heimspiel“ abermals auf dem Wasen aufzutreten und Stuttgart bei der Hallentour 2010 dafür auszulassen? „Ja“, sagt Andy knapp. „Ja“, sagt auch Thomas knapp. „Strategisch gesehen bestimmt“, ergänzt er, „sonst hätten wir letztes Jahr auf der Tour in der Schleyerhalle gespielt, wahrscheinlich sogar zweimal. Da hatten wir noch das Album im Rücken.“

Der Markt wird enger

Die Zeiten haben sich geändert. Seit immer weniger CDs verkauft werden, gehen immer mehr Künstler immer häufiger auf Tourneen, um auf diese Weise ihr Geld zu verdienen. Der Markt wird enger, und das kriegen auch die Fantastischen Vier zu spüren. „Zuerst ist der Plattenmarkt zusammengebrochen und alle haben sich auf das Livebusiness verlagert, das wie ein Eldorado schien“, erzählt Thomas D. „Aber wir merken gerade, wie das kippt. Der Livemarkt ist geflutet worden mit zu vielen Bands, aber die Leute haben nach wie vor nicht zu viel Geld. Die Menschen überlegen sich genau, welche zwei, drei Konzerte sie sich im Jahr angucken. Und da es so viel Angebot gibt, verteilt sich natürlich diese Nachfrage. Und das macht es nicht nur für uns schwerer. Man kann dies durch die ganze Branche hören: selbst internationale Superstars klagen.“

Die kriselnde Musikindustrie sucht derzeit händeringend nach neuen Geschäftsmodellen, doch Thomas D und And. Ypsilon zeigen sich diesbezüglich skeptisch. „Früher haben die Plattenfirmen wahnsinnig gut verdient, vor allem mit der Einführung der CD, als der ganze Backkatalog noch einmal aufgelegt wurde. Dann haben sie irgendwann angefangen, CD-Brenner und Rohlinge zu verkaufen, und alles ging den Bach herunter. Jetzt sind diese Dinosaurier nicht flexibel genug zu reagieren. Die Plattenfirmen haben es ja bis heute nicht mal geschafft, eine funktionierende Internetplattform für ihre Stars zu etablieren – das haben i-Tunes oder Musicload gemacht“, sagt Thomas D.

Auf sich aufmerksam machen

Ohnehin sei es durch die ganzen multimedialen Plattformen viel schwieriger geworden, als Musiker auf sich aufmerksam zu machen. „Du kannst nicht sagen ,Hallo, wir sind’s’, weil an jeder Ecke einer ,Hallo, ich bin’s’ schreit“, sagt Thomas D nachdenklich. Und dann zitiert er, um die Zerfaserung der Branche zu illustrieren, den schottischen Künstler und Blogger Momus, der in Abwandelung des berühmten Warhol-Zitats prophezeite: „On the Web, everyone will be famous to fifteen People.“

„Wir hatten es viel leichter, wir haben die Gnade der frühen Geburt“, meint And. Ypsilon lachend, doch dann beginnen die beiden, über die Frage zu sinnieren, ob auch die Qualität heutiger Künstler zur Krise der Branche beigetragen hat. „Für mich persönlich“, holt Thomas D aus, „ist Musik eine sehr emotionale Geschichte, aber viele Musiker haben teilweise gar nicht mehr die Lust oder die Möglichkeiten, richtig tiefe Emotionen in ihre Platten zu packen, weil alles immer so schnell gehen muss.“ Die Tiefe gehe oftmals verloren, sagt er, und dann zitiert er abermals einen geflügelten Ausspruch in der Branche: „Frustrierte Musiker liefern gelangweilten DJs schlechte Musik, die dann vor gleichgültigem Partyvolk aufgelegt wird.“

Gnade der frühen Geburt

Recht haben sie mit ihren Analysen tendenziell natürlich, und wenn man die Gnade der frühen Geburt hat, sagt sich gewiss auch manches leichter. Ist es aber nicht dennoch so, dass in Zeiten audiovisueller Reizüberflutung selbst renommierte Musiker wie die Fantastischen Vier nicht mehr ohne Rundbühne in der Saalmitte mit Riesenchoreografie auskommen? „Nein, das glaube ich nicht“, sagt Thomas D. „Vielleicht ist es eine romantische Vorstellung, aber ich glaube nach wie vor, dass der Junge mit der Akustikgitarre, der in der Ecke sitzt, dich bezaubern kann. Durch sein Herz, durch seinen Soul, durch die Momente, in denen du Gänsehaut kriegst, in denen der Zauber wieder wirkt. Dazu brauchst du keine 360-Grad-Bühne und keine 360-Grad-Vermarktung. Du musst einfach nur deine Seele auf deine Zunge packen. Das wird immer ankommen“, sagt er, und fügt dann ausnahmsweise mal ganz leise hinzu: „Das ist zumindest meine Hoffnung.“

Draußen, vor der Tür, eine halbe Stunde später als erwartet, fährt nun tatsächlich der Bringdienst mit dem Mittagessen vor. Er hat einen kleinen Irrweg eingeschlagen.

Termin Die Fantastischen Vier treten am Donnerstag, dem 22. Dezember, in der Stuttgarter Schleyerhalle auf.