Konzert in Stuttgart Bombastisch: So war’s bei Hans Zimmer in der Schleyerhalle

Viele Worte, viel Musik: Hans Zimmer in der Schleyerhalle Foto: Julian Rettig

Hans Zimmer und seine Mitmusiker haben in der Schleyerhalle seine Filmmusiken live präsentiert. Bilder und Kritik von der „The Next Level“ betitelten Show.

Regenklänge! Dann Blitz-Anmutungen! Indoor-Gewitter offenbar. Womöglich um den Unwetter-Eindruck noch zu verstärken, wird – wiewohl meteorologisch nicht ganz stimmig – jetzt die Schleyerhalle komplett eingenebelt. Trotzdem sieht man, dass auf der vierstöckigen Bühne unter anderem drei Männer nebeneinander an Keyboards stehen – fast wie bei Kraftwerk sieht das aus. Doch schwupps hängt sich einer der drei eine Gitarre um, die man im anschwellenden Bombast ebenso wenig vernimmt wie das Banjo, das er später am Abend zupfen wird. Das ist Hans Zimmer. Die Klangwolke steigert sich zum Inferno, es ist sehr laut, und die Nebelschwaden verstärken den Fluchtreflex.

 

Doch dem Mann, der 1957 in Frankfurt am Main geboren wurde und der aufwendige Hollywood-Produktionen seit Jahrzehnten zuverlässig beschallt, entkommt man mittlerweile auch außerhalb des Kinos schwer: Hans Zimmers ausdauernd immer neu betiteltes Eventformat, bei dem seine grandiosen Filmmusiken aus ihrem Kontext gepult werden, gastiert regelmäßig in der Schleyerhalle, mal ohne den Komponisten selbst, mal mit ihm persönlich, so wie diesmal, da das Leistungsschau-Spektakel „The Next Level“ heißt. Als das einleitende Inferno endet, das Zimmer einst zwecks emotionaler Untermalung von Batmans Heldentaten in Gotham City komponiert hat, sagt er mit dem Charisma eines Dorfplatz-Zirkusdirektors: „Guten Abend, liebe Stuttgarter! Wie geht’s euch?“

Den Filmtitel verrät Hans Zimmer nicht immer

Aber gleich darauf macht Hans Zimmer deutlich, dass er sich für so wild hält wie seine Musik: Ausgerechnet in einer Stuttgarter Schule habe er einst den „Rekord gebrochen“, sagt er, bereits nach sechs Wochen hätte sie ihn rausgeschmissen. Aber Kreativität sei ja wohl wichtiger als schulischer Erfolg. Seine anekdotisch begründeten Lebenstipps werden von seinen Altherrenwitzen unterboten: „Am gefährlichsten“ in seiner Band seien „die Damen, die so tun, als würden sie kein Deutsch verstehen“, sagt er einmal.

Dafür, dass Hans Zimmer vor 9000 Zuschauern seine Filmmusiken live präsentieren möchte, verliert er am ersten von zwei Abenden in der zwei Mal hintereinander ausverkauften Schleyerhalle relativ viele Worte: „Die zwei Titel, die wir gespielt haben, waren die Haupttitel von den Filmen“, bemerkt er einmal – ohne die Namen der Filme zu verraten. So hat man oft keine Ahnung, ob die regelmäßig aufbrausenden und zuweilen inbrünstigen Kompositionen ursprünglich geschrieben wurden, um beispielsweise Piraten beim Entern zu begleiten, Liebende bei einer Trennung oder Astronauten auf Abwegen. Ungefähr nach der ersten von insgesamt drei Stunden Live-Filmmusik merkt man, dass die meisten von Hans Zimmers Kompositionen auch gut geeignet wären, Richtung Sonnenuntergang galoppierenden Pferden eine Extraportion Bedeutung zu verleihen, wahlweise mit oder ohne reitendem Helden.

Die ohne Bilder fehlenden Bezüge dieser ursprünglich ja dienend, nicht prahlend, gemeinten Musik sind nicht das einzige Problem dieser Show. Ein anderes besteht in der akustischen Breitband-Wucht der Arrangements: Obschon gelegentlich aufblitzt, dass auf der Bühne Spitzenkönner am Werk sind, manchmal drei Dutzend gleichzeitig, entsteht mitunter ein etwas soßiger Eindruck, wenn vier Perkussionisten gegen noch mehr Streicher und Bläser ankämpfen, alle unter der Flagge des ganz großen Dramas.

Dabei beherrscht Hans Zimmer ja eigentlich Transparenz: Während eines Abstechers in seine Filmmusik zu „Pearl Harbour“ schmiegt sich die Flöte behutsam an und fasst sich die Geige ein Herz und ragt heraus. Außerdem hat Hans Zimmer den Ausnahmegitarristen Guthrie Govan mit nach Stuttgart gebracht, der sein Instrument fast so effektvoll singen und weinen lassen kann wie einst Jeff Beck. Aber dann vereinnahmt ihn gleich wieder eine Sängerin, so wie es sich in Musik zum Film „Interstellar“ eine Sängerin nicht verkneifen kann, die Geige zu imitieren. Wenn dann mal eine Streicherin über einen längeren Zeitraum hinweg solistisch agieren darf, wird ihre Darbietung per Licht und Garderobe als Kitschkaskade inszeniert. Zuweilen degradiert Hans Zimmer bei diesem Konzert in Stuttgart seine großartigen Filmmusiken zu Etüden in der Disziplin Effekthascherei.

Umtanzt: Hans Zimmer Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Gegen Ende zaubert der hoch dekorierte Komponist einen Chor aus dem Hut, und per folkloristischer Großoffensive wird Afrika erkundet, ehe die musikalische Reise weiter in die Karibik geht, der Filmtitel-Erfinder exklusiv für den deutschsprachigen Raum einen Fluch vorangestellt haben. Ob sich Johnny Depp am Schlussapplaus beteiligt hätte, weiß man nicht. Klarer hingegen scheint nach diesem Abend: Man kann sich das schönste Lied nicht an die Wand hängen, man kann das eindrucksvollste Gemälde nicht während einer Autofahrt hören, und Filmmusik in der Mehrzweckhalle ohne dazugehöriges Bewegtbild bleibt eine Herausforderung.

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