Die Rockband AC/DC und 65.000 Fans haben am Sonntag auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart ihr eigenes deutsch-australisches Fest gefeiert.

Stuttgart - Diese Glocke hat ihren Platz in der Rockgeschichte. Und sie darf natürlich auch auf dem Cannstatter Wasen nicht fehlen. Ziemlich genau zur Halbzeit des Konzerts der australischen Rockband AC/DC baumelt Sänger Brian Johnson am Schlegel der vom Bühnenhimmel herabgelassenen überdimensionalen Glocke und läutet "Hell’s Bells" ein – und damit einen der besten Songs dieses mit Rockklassikern geradezu gesegneten Abends. Entsprechend euphorisch reagieren die ohnehin bestens gelaunten 65.000 Anhänger.

In der Tat ist es ja nicht irgendeines der zahlreichen Konzerte, die die Australier seit dem Vorjahr im Rahmen ihrer "Black Ice"-Tournee quer über die Erdkugel verteilt geben. Dass sich derart viele Fans dazu entschlossen haben, nicht den – zumindest aus deutscher Sicht – ersten großen Fußball-WM-Abend vor dem Fernseher zu genießen, sondern zur alternativen WM-Party auf den Wasen zu pilgern, ist wirklich bemerkenswert. Das wissen auch die fünf Musiker und feiern mit ihren Fans gemeinsam ein deutsch-australisches Fest.

Für die Entscheidung der Fans gibt es zumindest zwei gute Gründe: AC/DC bieten zum einen ganz einfach Qualität, was erfahrungsgemäß selbst bei WM-Spielen nicht garantiert werden kann. Zwar haben sich die Australier in den vergangenen 20 Jahren erfolgreich jeglicher musikalischen Erneuerung oder zumindest Weiterentwicklung versagt, was sie mit einem Mangel an aktuellen Hits zu bezahlen haben. Dennoch wirkt das, was AC/DC 19 Lieder und rund anderthalb Stunden lang, von "Back in black", über "Thunderstruck", "The Jack", "T.N.T" bis zu "Let there be rock" und vor "Highway to Hell" als der ersten Zugabe auf die Bühne zauberten, kein bisschen angestaubt oder altmodisch.

Diese schnörkellose, staubtrockene Spielart des Heavyrock ist deshalb so zeitlos, weil er mit jedem Ton auf den Grundlagen des Rock’n’Roll aufbaut – und der ist einfach nicht kleinzukriegen. Zum anderen gibt es bei AC/DC-Konzerten – auch das kommt den Hör- und Sehgewohnheiten vieler Fans entgegen – anders als beim Fußball nun wirklich keine Überraschungen mehr. Denn die Konzerte des musikalischen Kopfs und Gitarristen Angus Young und seiner drei Mitstreitern laufen nun schon seit Jahrzehnten nach dem gleichen Muster ab. Der ewige Lausbub Young rockt dabei anfangs in seiner Schuluniform, später nach seinem angedeuteten Strip deutlich leichter bekleidet über die Bühne und degradiert selbst Sänger Brian Johnson zu einem besseren Statisten.

Bevor alle Fans glückselig nach Hause entlassen werden, kommen noch bei "For those about to rock (we salute you)" die Kanonen derart massiv zum Einsatz, auf dass auch jeder Fan am nächsten Morgen dank eines gewissen Flirrens in den Gehörgängen noch weiß, wo er am Vorabend gewesen ist. Ohrstöpsel waren nach Bier und Bratwurst denn auch am meisten gefragt auf dem Wasen. Die 65.000 Fans hatten ihre Freude, die auch nicht durch das mäßige Wetter getrübt wurde. So waren die Warteschlangen an den Eisständen kurz, die vor den vielen Bierständen umso länger. Ein Rundgang durch das Publikum zeigte: der einstige Bürgerschreck AC/DC ist längst zu einem generationenübergreifenden Kulturgut geworden. Das Publikum reichte von über 60 bis unter 20 Jahre.

"AC/DC ist eine klasse Band. Daran hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert", urteilte Stefan Henschel aus München. Die Mehrzahl im Publikum waren Männer. "Vielleicht, weil die Männer auf die Rockgitarren-Nummer von Agnus Young stehen", vermutete Gabriele, die AC/DC schon seit ihrer Teenagerzeit hört. "Ihre Musik ist einfach mitreißend. So eine Band gibt es kein zweites Mal." Das findet auch Frank. Der 24-Jährige trug eine schwarze Schuluniform – kurze Hosen, ein weißes Hemd und eine schwarz-rot gestreifte Krawatte – wie sein großes Vorbild Agnus Young. "Der ist einfach unglaublich. Er könnte mein Großvater sein und rockt noch immer", stellt Frank anerkennend fest.

Die ganz treuen Fans waren schon zum Einlass um 15 Uhr auf dem Gelände, um einen Platz ganz vorne an der Bühne zu besetzen. Dort lagerten sie fast neun Stunden auf dem harten Boden. Ganz entspannt und alterserfahren gaben sich jene, die weiter hinten standen, das Geschehen auf der Bühne durch ein Fernglas beobachteten und dabei eine dicke Zigarre rauchten. Dabei ist es für viele AC/DC-Fans Pflicht, bei einem Konzert der Australier ein schwarzes T-Shirt mit dem markanten roten Schriftzug der Band zu tragen. Wer nicht schon längst eines zu Hause hängen und gestern übergestreift hatte, zahlte für ein neues 30 Euro. Wer dann noch Kleingeld übrig hatte, konnte sich für zehn Euro noch die roten, blinkende Teufelshörnchen erwerben. Solche, wie sie Gitarrist Angus Young an seiner Mütze zu tragen pflegt.

Weil am Sonntagabend aber zur gleichen Zeit wie das Konzert ausgerechnet die Begegnung Deutschland – Australien bei der Weltmeisterschaft stattfand, blitzten zwischen den vielen Band-Shirts auch weiße Deutschlandtrikots auf. "Klar, heute Abend ist AC/DC wichtiger", sagte Jürgen. Der Stuttgarter ließ sich per SMS aber über den aktuellen Spielstand informieren.