Konzertkritik: Raf Camora in der Schleyer-Halle Die Helene Fischer des Hip-Hops

Da beim Konzert in Stuttgart leider keine Pressefotos gemacht werden durften, hier ein Foto vom Raf-Camora-Konzert vom Donauinselfest am 23. Juni 2023. Foto: IMAGO/Andreas Stroh/IMAGO/Andreas Stroh

Drei Outfitwechsel, Pyro, Konfettikanone, Live-Band und ein Audi RS Q8 mit Klavier im Kofferraum auf der Bühne: Der Rapper und Dancehall-Musiker Raf Camora hat Stuttgart Dampf gemacht.

Stadtkind: Petra Xayaphoum (px)

Raf Camora muss man, ähnlich wie Helene Fischer auch, nicht mögen – außer live. Auf der Bühne liefert der Rapper und Dancehall-Musiker eine perfekt orchestrierte zweistündige Show sondergleichen ab. Da wird sogar dem anfangs etwas unterkühlten Stuttgarter Publikum warm um die Hüfte.

 

Die Rückkehr aus der akustischen Dunkelheit

Nachdem der in Wien aufgewachsene 40-jährige Wahlberliner seine „Phantom“-Tour Anfang des Jahres aus gesundheitlichen Gründen – Tinnitus, Hörstürze, Burn-out, you name it – verschieben musste, meldete er sich im Sommer mit dem Intro „Anthrazit Forever“ und der dazugehörigen Single-Auskopplung „Out of the Dark“ zurück. Darin hat der Mann mit einem gewissen Händchen fürs Sampeln den gleichnamigen Falco-Klassiker verwurstelt, den er – zugegebenermaßen etwas pathetisch – auch in seinem aktuellen Bühnenprogramm mit offenen Armen vom Dach eines Audi RS Q8 singt.

Und sowieso ist auf der Stage richtig was los: Angefangen bei den Video-Snippets und Visuals, die passend zu den Songs über riesige LED-Bildschirme flimmern, über lodernde Flammen aus Bühnenapparaturen und Handflammenwerfern, eine Bühnen-Bar, Konfettikanonen und mehrfache Outfitwechsel bis hin zur Live-Band. Doch all das wäre nichts, wenn Raphael Ragucci, wie Raf Camora mit bürgerlichem Namen heißt, nicht der geborene Entertainer wäre, der er ist. Arme hoch, Arme schwenken, Handytaschenlampen aus, Handytaschenlampen an, T-Shirt-Propeller und von vorn. Das wärmt die Konzertgäste auf, zielt ins Schwarze und trifft.

Selbstinszenierung par excellence

Kurz muss der Musiker selber lachen, als er die Handytaschenlampen des Publikums zwanzig Mal hintereinander an und aus kommandiert. Diesen flüchtigen Moment lang erhascht man einen Blick auf den Mensch hinter all dem Puma-Sponsoring, Label-Dropping und der Chef-Inszenierung, der sich einen Scherz mit seinem Publikum erlaubt, wie unter Freunden eben.

Neben all den alten tanzbaren Hits, von „Ohne mein Team“ bis „Primo“, die jeder schon mal im Autoradio gehört hat, spielt Ragucci auch Neues wie etwa „ANNA“ von seinem letzten Album. Das trägt den Titel „XV“, benannt nach dem 15. Bezirk in Wien, in dem er lange lebte, oder nach dem französischen Begriff „Ex-Voyou“, was auf Deutsch soviel wie Ex-Gauner heißt. Der Musiker ist darauf älter geworden, was nicht unbedingt was Schlechtes ist, sich aber, wie bei anderen Künstlern auch, nicht nur darin bemerkbar macht, dass sie öfter zur Sonnenbrille greifen, sondern scheinbar danebst auch den Druck verspüren, der Nachwelt eine Art Opus Magnum hinterlassen zu müssen, das irgendwie besonders bedeutungsschwanger ist, immer mit Schwarz-weiß-Ästhetik daher- und nie ohne römische Ziffern auskommt, bevor sie sich in vollem Umfang ihrem künstlerischen Erbe widmen: der Nachwuchsförderung. Und die will Raf Camora nun auch verstärkt angehen, wie er in der vorletzten Folge seines Podcasts „Dark Zen“ verrät.

Der Rubel rollt auch ohne Musik

Ganz von der Bühne verabschieden will sich der Österreicher dennoch nicht, auch wenn im kommenden Jahr eine längere Tourpause ansteht, die er für die Gründung eines neuen Labels und weitere unternehmerische Side-Gigs nutzen mag. Nebenberufliche Altersvorsorge betreibt der Rapper schon seit geraumer Zeit, das Musikmachen ist längst nicht sein einziges Standbein: Tattoo Studio, Barber Shops, Uhren, Bücher, Musiklabel. Vor dem Stuttgarter Konzert läuft auf den Bildschirmen Werbung für Raf Camoras neuestes Projekt: eine eigene Kosmetikmarke, R. Cosmetics. Der Rubel rollt stabil bei Ragucci, auch ohne Tour.

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