Bewerberinnen mit türkischem Namen haben bei gleicher Qualifikation deutlich schlechtere Chancen auf ein Vorstellungsgespräch als Konkurrentinnen mit deutschem Namen. Noch schlechter sieht es bei Kopftuchträgerinnen aus.

Stuttgart - Schon wieder eine Absage – das ist die 27-jährige Meryem Öztürk mittlerweile gewöhnt. Immer wieder hat sie sich bei zahlreichen Unternehmen auf eine Stelle in der Finanzbuchhaltung beworben, als Buchhalterin oder als Sekretärin. Ihre Referenzen sind gut. Sie ist in Deutschland geboren und zweisprachig aufgewachsen, hat ihr Abitur erfolgreich abgelegt und mittlerweile vier Jahre Berufserfahrung. Sie ist eine von 7,4 Millionen Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund. Angehörige dieser Gruppe bekommen bei der Jobsuche von Unternehmen oft zu hören, sie seien nicht ausreichend qualifiziert. Aber der Fall von Meryem Öztürk hat jetzt erstmals bewiesen: Grund der Absagen ist nicht fehlendes Können, sondern das Bewerbungsfoto. Darauf trägt sie nämlich ein Kopftuch. Wenn Meryem Öztürk plötzlich Sandra Bauer heißt und kein Kopftuch trägt, wird sie in 18,8 Prozent der Fälle zum Bewerbungsgespräch eingeladen.

 

Meryem Öztürk, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, ist Teil eines Experiments der Linzer Ökonomin Doris Weichselbaumer. Für ihre Studie, die jetzt vom Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit veröffentlicht wurde, hat die Wissenschaftlerin ein Jahr lang fast 1500 fiktive Bewerbungen an Unternehmen in deutschen Städten wie Dresden, Frankfurt,Hamburg, Köln, München und Stuttgart verschickt. Das Ergebnis: Bei gleicher Qualifikation werden Bewerberinnen mit türkischem Namen und Kopftuch deutlich benachteiligt. So muss die kopftuchtragende Meryem Öztürk 7,6-mal mehr Bewerbungen als Buchhalterin verschicken als ihr deutsches Alter Ego, um genauso viele Vorstellungsgespräche zu bekommen. Bei einer Bewerbung als Sekretärin waren es „nur“ 3,5 mal so viel. Weichselbaumer stellt fest: Offenbar werden Musliminnen ungeachtet ihrer Fähigkeiten für Positionen mit höherem beruflichen Status in Deutschland immer noch vergleichsweise selten in Betracht gezogen.

Großteil der Deutschen das Kopftuch als Zeichen einer radikalen Religionsauslegung

Aber was glauben Personaler von einem Bewerbungsfoto mit Kopftuch ablesen zu können? „Wir begrüßen Bewerbungsfotos, da wir uns so ein Bild von den Bewerbern machen können“, begründet ein Sprecher der IHK Region Stuttgart den Wunsch nach Fotos. Selbstverständlich seien auch Muslime bei der Kammer beschäftigt, Bewerberinnen mit Kopftuch habe es allerdings noch nicht gegeben, so der Sprecher.

Laut der Linzer Studie sah im vergangenen Jahr ein Großteil der Deutschen das Kopftuch als Zeichen einer radikalen Religionsauslegung. Für viele sei das mit Fundamentalismus gleichzusetzen. Eine Frau, die Kopftuch trägt, tut dies demnach nicht freiwillig, sondern wird dazu von Eltern, Ehemann oder religiösen Leitfiguren gedrängt. So ist das Kopftuch der Studie zufolge in der öffentlichen Wahrnehmung zum Symbol der Unterdrückung geworden, steht sogar für Intoleranz und Terror.

Anonymisierte Bewerbungen spielen in Deutschland keine Rolle

Dabei hat die Linzer Forscherin bei der Erstellung der fiktiven Bewerbungsfotos bewusst eine moderne Art der Kopftuchbindung gewählt, mit der das Gesicht gut sichtbar und der Hals nur teilweise bedeckt war. Dies sollte signalisieren, dass die Bewerberin ihre Religion nicht streng interpretiert. Weichselbaumer geht davon aus, dass die Ergebnisse bei einem konservativer getragenen Kopftuch noch eindeutiger ausgefallen wären.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände äußert sich diplomatisch: „Die Wertschätzung von Vielfalt, auch religiöser Vielfalt, dient dem wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen.“ Es sei nicht ausgeschlossen, „dass der Arbeitgeber Vorgaben zur Bekleidung festlegt, sofern diese in angemessener Weise die berechtigten Belange der Beschäftigten berücksichtigen.“

Anonymisierte Bewerbungen spielen in Deutschland zurzeit keine große Rolle. Bislang ist es bei einem Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes geblieben, die mehr als 8500 Bewerbungen anonymisiert hatte. Dabei haben Modellversuche gezeigt: Lässt man persönliche Angaben oder auch Fotos weg, haben Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund deutlich bessere Einstiegschancen. In Ländern wie den USA oder Kanada sind anonymisierte Bewerbungen längst Standard und auch in Belgien sind sie im öffentlichen Sektor schon seit Jahren üblich.

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http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.diskussion-ueber-kopftuch-ruelke-gesetz-zum-kopftuch-an-schulen-muss-kommen.34ca1272-ad3f-4f13-8c1e-6cd061b72a5c.html

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-zum-thema-kopftuchstreit-die-menschen-sehen-nur-das-kopftuch.9857a01e-83a8-4b49-9f17-02ba583e9ba4.html