Immer mehr Profis laufen in der Bundesliga nach Verletzungen am Kopf mit einem Gesichtsschutz auf - woran liegt das eigentlich?

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Der Schlag kam völlig unvermittelt, ohne Vorwarnung. Der Kölner Fußballprofi Kevin Pezzoni feierte am Karnevalssonntag gerade als Cowboy verkleidet an der Seite seiner Freundin in einem Festsaal in Hürth. Pezzoni war völlig nüchtern, als ihn die Faust des Aggressors, der ein hautfarbenes Bodybuilderkostüm trug, mit voller Wucht an der Nase traf. Wie es heißt, soll der Schläger ein Kumpel des Ex-Freundes von Pezzonis Begleiterin sein.

 

Es gibt also auch für Fußballer diverse Wege, sich einen Nasenbeinbruch zuzuziehen. Meist allerdings resultieren die Verletzungen à la Pezzoni bei den Profis, die dann mit schwarzem Gesichtsschutz auflaufen, aus Zweikämpfen auf dem Platz. Und so wird die Bundesliga immer mehr zum Maskenball – weil die Härte auf den Bundesligafeldern zugenommen hat?

Immerhin ist die Liste des Grauens in dieser Saison ellenlang: Da waren die Schalker Maskenträger Christoph Metzelder und Klaas Jan Huntelaar, zu denen sich zum Rückrundenauftakt gegen den VfB Stuttgart noch der Kapitän Benedikt Höwedes mit einem dreifachen Jochbeinbruch gesellte. Böse erwischte es in puncto Gesichtsverletzungen auch die Dortmunder. Etwa den Mittelfeldmann Sven Bender, der sich in der Champions-League-Partie beim FC Arsenal einen beidseitigen Kieferbruch zuzog, wonach er tagelang nur noch Brei essen konnte. Nach einem Check des Wolfsburgers Sotirios Kyrgiakos erlitt Benders Kollege Neven Subotic einen Mittelgesichtsbruch – und sah danach aus, als hätte er einen der Klitschko-Brüder gereizt. Jakub Blasczykowski, Michael Ballack, Sebastian Prödl und Christoph Janker haben ebenfalls Erfahrungen als kickender „Hannibal Lecter“, „Zorro“ oder als „Phantom der Fußballoper“ gemacht.

Die Maske verleiht ein Gefühl der Sicherheit

Dass die Anzahl der Maskenmänner im deutschen Oberhaus stetig zunimmt, hat laut dem Tübinger Orthopäden Raymond Best, der beim VfB Stuttgart als Teamarzt fungiert, aber nichts mit einer erhöhten Brutalität auf dem Spielfeld zu tun. „Statistisch gesehen haben im Profifußball die Gesichtsverletzungen in der Gesamtzahl aller Verletzungen nicht zugenommen“, erklärt Best: „Es kann aber sein, dass wir gerade eine zufällige Häufung erleben.“ Immerhin standen am Wochenende im Team von Bayer Leverkusen in Simon Rolfes, dessen Platzwunde auf der Stirn mit acht Stichen genäht wurde, und André Schürrle (Nasenbeinbruch) gleich zwei Maskenmänner in der Startformation.

Anders als sein Chef Herbert Fandel („Bei Luftkämpfen kommen heute vermehrt die Ellbogen und Arme zum Einsatz. Das müssen wir wieder rausbekommen aus dem Fußball“) kann auch der württembergische Fifa-Schiedsrichter Knut Kircher in der Bundesliga keine Verrohung der Sitten erkennen: „Die Fouls ins Gesicht stellen in der Bundesliga keinen besonderen Schwerpunkt da“, sagt der Referee, „doch wir haben schon ein besonderes Auge darauf. Nach dem Motto: Wehret den Anfängen!“ Grundsätzlich unterscheidet die Regel beim Ellenbogeneinsatz zwischen dem Herausstellen des Armes, dem sogenannten Räumen, das mit der Gelben Karte zu ahnden ist, und der Ausholbewegung, dem „Ellenbogencheck“, der mit einem Platzverweis bestraft werden muss.

„Dass wir in jüngster Zeit immer mehr Spieler mit Maske sehen, liegt wohl daran, dass sich die Spieler mit ihnen immer sicherer fühlen“, sagt Knut Kircher. Das sieht auch der Mediziner Raymond Best so: „Es braucht ein paar Trainingseinheiten, ehe man sich an die Maske gewöhnt hat“, sagt der VfB-Teamarzt, der in Stuttgart vor einigen Jahren als vorerst Letzten den Verteidiger Serdar Tasci mit Gesichtsschutz aufs Feld schicken musste: „Die Spieler stellen dann schnell fest, wie leicht und quasi unkaputtbar die modernen Masken sind.“

Jede Maske ist ein individuell angepasstes Unikat

Nach einem Gipsabdruck am Kopf des Spielers ist jede Maske ein Unikat, das sich nach der individuellen Physiognomie des Profis richtet. Während die billigeren Versionen aus flüssigem Kunststoff geformt werden, arbeiten die Orthopäden im Auftrag der Fußball-Bundesliga mit einem moderneren Material, das auch in der Formel 1 und dem Radsport verwendet wird. So werden die Fußballermasken – anders als im Sanitätshaus um die Ecke – aus sechs- bis achtlagigem Carbon gefertigt. Das hat seinen Preis: zwischen 500 und 1000 Euro müssen die Vereine in den Gesichtsschutz angeschlagener Akteure investieren.

Einen tiefen Einschnitt, gar einen Karriereknick, bedeuten die Gesichtsverletzungen heutzutage meist nicht mehr. Dank der neuartigen Masken sind die Profis im Anschluss an eine Operation meist schon nach zwei, drei Wochen wieder einsatzbereit – auch wenn diverse Experten, etwa der Würzburger Neuropsychologe Gerhard Müller, beim Thema Kopfverletzungen vor einer „Heroisierung der Sporthelden“ warnen. Denn zu häufig würden die Fußballprofis – gerade nach Gehirnerschütterungen – von ihren Trainern zu früh wieder in den Wettkampf geschickt. Schließlich könnten sich mehrere Kopfverletzungen im Laufe einer Karriere zu ernsthaften Hirnerkrankungen kumulieren.

Der Kölner Kevin Pezzoni, der sich einer Nasenoperation unterziehen musste und den polizeibekannten Schläger inzwischen verklagt hat, musste sich nach der Karnevalsattacke nur kurz gedulden. Denn der für ihn zunächst angefertigte Protektor passte nicht. Er war zu groß. Hilfe bekam der 22-Jährige dann von einem Spezialisten des Konkurrenten Bayer Leverkusen. Nun kann er wieder mitmischen. Beim 1:4 des 1. FC Köln am Sonntag in Hannover besorgte der einstige U-21-Nationalspieler Pezzoni mit Maske den Treffer zum 1:1-Ausgleich – per Kopfball.