Korallen wissen sich zu wehren, wenn sie von giftigen Algen angegriffen werden: Sie rufen Fische zur Hilfe, die dann rasch mit dem Algen-Jäten beginnen.

Stuttgart - Wenn die Haaralge Chlorodesmis fastigata die Steinkoralle Acropora nasuta zu überwuchern droht, ruft diese einfach ihre Gärtner zu Hilfe. Keine halbe Stunde vergeht, bis die alarmierten Unterstützer eifrig das giftig-grüne Unkraut jäten. Das Ganze klingt zwar wie ein modernes Märchen, ist aber in den tropischen Gewässern des Pazifiks und des Indischen Ozeans anscheinend Alltag.

 

Danielle Dixson und Mark Hay vom Georgia-Institut für Technologie im US-amerikanischen Atlanta haben die Gärtner jedenfalls in den Korallenriffen vor den Fidschi-Inseln beobachtet, die nördlich von Neuseeland und östlich von Australien im Pazifik liegen. In der Fachzeitschrift „Science“ entlarven sie auch, wer sich hinter diesen Leibwächtern für Korallen verbirgt: Es handelt sich um gerade einmal 3,5 Zentimeter lange Fische der Art Gobidon histrio, die Aquariumfreunde als Blaupunkt-Korallengrundel kennen.

Eine halbe Stunde nach dem Hilferuf sind alle Fische da

Der Korallenriffspezialist Reinhold Leinfelder von der Freien Universität Berlin und der Universität München vergleicht sein Forschungsgebiet gern mit einer Großstadt. „In diesem komplizierten Gemeinwesen haben die US-Forscher jetzt auch noch eine spezielle Form der Kommunikation gefunden“, erklärt er das Ergebnis der Experimente im tropischen Pazifik. Dort haben die Wissenschaftler unter Wasser auf gesunde Korallenriffe entweder die giftige Haaralge Chlorodesmis fastigata oder eine Imitation aus Nylonfäden aufgebracht. Die Alge schädigt das Riff rasch und überwuchert es schließlich.

Während die Blaupunkt-Korallengrundeln die Nylonfäden weitgehend ignorierten, eilten sie den Korallen zur Hilfe, die mit den echten Haaralgen kämpften. Bereits nach 15 Minuten waren 70 Prozent der Grundeln bei den betroffenen Korallen angekommen und machten sich über das gefährliche Grünzeug her. Nach einer halben Stunde waren fast alle dieser Fische bei der Arbeit. Offenbar nehmen die Fische dabei das Gift der Algen auf und werden so selbst giftiger. Für ein kleines Tier wie die Korallengrundel ist das eine praktische Selbstverteidigung gegen größere Fische, die Appetit auf die Kleinen haben.

Das Signal entsteht, wenn die Korallen verletzt werden

Mit einem weiteren Experiment entdeckten die US-Forscher schließlich, wie die Kommunikation zwischen Korallen und Fischen funktioniert. Sie hatten einfach Wasser aus der unmittelbaren Umgebung von unversehrten Korallen in 60-Milliliter-Spritzen gezogen und den Inhalt später langsam in ein anderes Riff gespritzt. Die dort schwimmenden Blaupunkt-Korallengrundeln reagierten darauf praktisch gar nicht. Stammte das Wasser in der Spritze dagegen aus der Umgebung einer Koralle, die gerade gegen die Haaralgen kämpfte, schwammen die Fische rasch auf die Spritze zu – irgendein bisher nicht identifizierter Geruchsstoff musste also die Grundeln alarmiert haben.

Dieses Signal stammt aus verletzten Korallen, zeigte ein weiterer Versuch: Wenn die Forscher die giftige Haaralge entfernten und 20 Minuten später ihre Wasserprobe nahmen, reagierten die Fische und schwammen Richtung Spritze. Damit scheidet die Alge als Sender des Signals aus.

„Diese Kommunikation zwischen Steinkorallen und Fischen zeigt sehr schön, wie sich ein Ökosystem wie das Korallenriff an mögliche Gefahren anpasst und sie abwehrt“, erklärt Reinhold Leinfelder. Allerdings will er damit keineswegs Entwarnung für die Korallenriffe geben, die zurzeit von verschiedenen Einflüssen der modernen Zivilisation in die Zange genommen werden: Der Klimawandel schwächt die Korallen, oder Fischer holen häufig zu viele Fische aus dem Wasser, von denen einige Arten auch die Algen von den Korallen abweiden. „Kommen zu viele dieser Veränderungen zusammen, wird auch die Anpassungsfähigkeit der Korallen überfordert sein“, befürchtet Leinfelder.