Aus Verärgerung über die Vergabekommission stellen Betroffene die Aufarbeitung in Frage. Ein Mitglied der Kommission soll die ehemalige Ministerin Katrin Altpeter sein.

Korntal-Münchingen - Die Kritik reißt nicht ab – und nach Ansicht einer Gruppe ehemaliger Heimkinder steht die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals um die Korntaler Brüdergemeinde gar vor dem Aus. Das äußerten die Betroffenen bei einem Opfertreffen am Sonntag in Stuttgart. „Nach Meinung der Betroffenen ist der bisher erfolgte Aufarbeitungsprozess weder neutral noch allparteilich“, sagte Angelika Bandle in Anwesenheit von rund 30 ehemaligen Heimzöglingen. Bandle war von 1959 bis 1970 im Flattichhaus der evangelischen Brüdergemeinde Korntal. „Unser Ziel ist und bleibt es, das Aufarbeitungsverfahren zum Missbrauch der ehemaligen Heimkinder objektiv, unvoreingenommen, zügig und professionell zu gestalten.“

 

Auslöser: Besetzung der Vergabekommission

Bandle ist Wortführerin einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Betroffenen und sitzt zudem in der Projektgruppe, die den Aufklärungsprozess mitgestaltet. Diese teilt die Kritik mehrheitlich nicht. Geleitet wird die Projektgruppe von den Moderatoren Elisabeth Rohr und Gerd Bauz. Anlass für Bandles Kritik ist die Besetzung der Vergabekommission, die über die Gelder entscheiden soll, die die Brüdergemeinde als Anerkennung des Leids bezahlt. Die Gemeinde habe einen der von den Opfern benannten Kandidaten abgelehnt, moniert Bandle. Zudem kritisierte sie, dass bei der Höhe der Entschädigung nur bewertet werden soll, was strafrechtlich relevant sei. Vor einiger Zeit war bereits ein von den Opfern favorisierter Aufklärer am Veto der Brüdergemeinde gescheitert – auch dies hatte zu massiver Verstimmung geführt.

Unumstrittenes Mitglied in der Vergabekommission ist die ebenfalls von den Opfern vorgeschlagene Katrin Altpeter. Die Sozialdemokratin war bis 2016 fünf Jahre lang baden-württembergische Arbeits- und Sozialministerin und sieht ihre Aufgabe in der Kommission als „Parteinahme für diejenigen, in deren Schuld die Brüdergemeinde steht“. Weil die Kommission bisher nicht getagt habe, könne sie sich noch kein vollständiges Bild machen. In Bezug auf die Vergabekriterien aber teilt sie Bandles Kritik: „Das Leben beinhaltet mehr als das, was einem an strafrechtlich relevanten Dingen widerfahren ist.“

Mehrheit teilt die Kritik nicht

Die Brüdergemeinde selbst und zahlreiche andere Opfer können Bandles Kritik indes nicht nachvollziehen. Diese sei „völlig unbegründet“, sagt etwa Wolfgang Schulz, ebenfalls ehemaliges Heimkind und Mitglied der Projektgruppe. Denn die Opferseite sei immerhin mit zwei Wunschkandidaten in der Kommission vertreten. Er drängt auf einen Abschluss: „Ich bin es leid, den alten Hass vor mir herzuschieben.“ Mit Verwunderung hat auch Klaus Andersen die Vorwürfe aufgenommen. Wenngleich sich der weltliche Vorsteher der Brüdergemeinde nach eigenem Bekunden bewusst ist, das es immer wieder Kritik geben werde, so sei diese „faktisch nicht nachvollziehbar“. Zumal das Treffen doch vor allem von Dankbarkeit geprägt gewesen sei, „dass der Prozess so weit gediehen ist“.

Die Juristin Brigitte Baums-Stammberger führte laut den Moderatoren bisher 69 Opfergespräche, der Wissenschaftler Benno Hafeneger arbeitet Archivbestände auf. Ihr Bericht soll im Frühjahr vorliegen.