Korntal-Münchingens Bürgermeister geht „Wohnbaudruck war und bleibt enorm“

Sagt nach 16 Jahren auf Wiedersehen: Joachim Wolf. Foto: Jürgen Bach

Der scheidende Bürgermeister Joachim Wolf wirft in seinem Abschiedsinterview einen kritischen Blick auf die Veränderungen Korntal-Münchingens.

Nach 16 Jahren als Bürgermeister packt Joachim Wolf nun die Kartons und verlässt das Rathaus. Im Interview spricht der 64-Jährige über seine Pläne, darüber, warum es gut ist, dass Münchingen nicht Korntal ist und warum seine Beziehung zur Feuerwehr eine besondere ist.

 

Herr Wolf, Ihr letzter Arbeitstag als Bürgermeister ist da. Wie geht es Ihnen?

Es ist durchwachsen. Einerseits gut, ich freue mich auf die Zeit, die vor mir liegt, andererseits ist schon eine gehörige Portion Wehmut und Abschiedsschmerz dabei. Aber im Grunde habe ich meinen Frieden mit meiner Entscheidung gemacht. Es gab eine Zeit, in der ich mit ihr gehadert habe. Mittlerweile bin ich mir aber sicher, dass es der richtige Entschluss war. Trotzdem, die Veränderung ist schon eine gravierende in meinem Leben.

Welche Pläne haben Sie?

Ich möchte gern noch etwas weiterarbeiten, da gibt es erste Ideen und gab es erste Gespräche, aber spruchreif ist bisher nichts. Das lasse ich ohne Druck auf mich zukommen. Ich will auf jeden Fall nicht mehr fremdbestimmt sein, was das Amt des Bürgermeisters stark ist, sondern weiter kreativ-konstruktiv in einem passenden Umfeld arbeiten und gestalten. Das ist, was mir auch bisher viel Erfüllung gebracht hat. Projektentwicklung und Projektmanagement im kommunalen Umfeld sind eine Perspektive, eine andere ist der Sport. Auch ein Ehrenamt schließe ich nicht aus.

Wie gut sind die Stadtteile unter Ihrer Ägide zusammengewachsen?

Das Schlimmste wäre, wenn man die ganze Stadt in die Waschmaschine stecken, vermengen und dadurch viel Identifikation, Wert und Historie verlieren würde. Die Menschen sollten die unterschiedliche Identität und den unterschiedlichen Charakter der Stadtteile als Gewinn für alle Seiten betrachten, die Vielfalt als Möglichkeit, voneinander zu profitieren. Das Bewusstsein dafür hat sich deutlich verändert. Es ist ein sehr großes Verständnis und Miteinander entstanden. Gerade die Jugend hat keine Vorurteile mehr. Sie ist mobil, flexibel und pendelt. Nach wie vor spürt man aber die räumliche Trennung durch die fehlende Straßenverbindung.

Es bleibt der Vorwurf, dass Korntal gegenüber Münchingen bevorzugt wird.

Ich habe vor ein paar Jahren die Kämmerei bemüht: Unterm Strich wurde über einen Zeitraum von zehn Jahren in Korntal etwa so viel Geld investiert wie in Münchingen.

Die Vielfalt halten Sie aus noch einem anderen Grund für essenziell.

Münchingen wird als Stadtteil gesehen, der eine deutlich andere Identität hat als die Randbezirke von Stuttgart, die an uns grenzen. Diesen Charakter gilt es zu bewahren. Nur wenn Korntal-Münchingen als Gesamtstadt mit der Vielfalt und den teils gegensätzlichen Identitäten wahrgenommen wird, hat es auch die Chance, sich von Stuttgart abzusetzen. Gelingt das nicht, wird Korntal emotional geschluckt von Stuttgart – oder so von außen wahrgenommen – und Münchingen wird der ländlichen Region zugeordnet.

Wenn Sie auf die vergangenen 16 Jahre blicken, finden Sie, dass . . .?

. . . ich einen ganz guten Job gemacht habe. Meine Entscheidungen waren im Großen und Ganzen gut und richtig, und die Stadt hat sich zum Positiven entwickelt. Sie hat sich in vielen Teilen verändert, hat ein anderes Gesicht bekommen. Das betrifft alle Stadtteile gleichermaßen. Augenfällig sind vor allem die baulichen Veränderungen.

Ist die Stadt zu stark gewachsen?

Der Wohnungsbaudruck war und ist weiter ganz enorm. Wir sind dem Bedarf an Wohnbauentwicklung in erheblichem Maß nachgekommen – für manche Menschen vielleicht auch einen Tick zu viel. Das ist immer diskutiert worden. In meiner Amtszeit ist die Zahl der Einwohner von etwa 17 500 auf 20 000 gestiegen. Da muss sich die Stadt mitentwickeln, was Infrastruktur anbelangt, aber auch Integration der neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Das rasante Tempo der Entwicklung ist nicht überall auf Begeisterung gestoßen, besonders in der betroffenen Nachbarschaft. Man denke nur an Korntal-West. Ich bin aber überzeugt davon, dass das notwendig war. Daher haben wir auch in den Innenstädten die Nachverdichtung vorangetrieben. Wir haben hier alle Optionen genutzt, um im Wohnbau voranzukommen und die Außenbereiche zu schonen.

Hält die Infrastruktur mit?

Wir haben versucht, die Innenstädte noch attraktiver zu machen. Das betrifft einerseits die Aufenthaltsqualität. Denken Sie an die Aufwertung des Bereichs Feuerseeweg in Korntal mit Spielplatz, Koroneo, Stadtvillen oder an die Stuttgarter Straße in Münchingen, die bald modernisiert wird. Wir haben es aber auch geschafft, in allen drei Stadtteilen den Einzelhandel zu sichern, indem wir die Vollsortimenter im Zentrum gehalten haben. Das war zum Teil eine schwere Geburt. Insofern sind die Ortszentren auch gestärkt worden, was das Einzelhandelsangebot angeht. Hier ist der Bevölkerungszuwachs ein positives Momentum, weil er die Kaufkraft stärkt und so die Innenstädte am Leben hält.

Was ist mit den Schulen und Kitas?

Da ist auch enorm viel passiert. Eines meiner ersten Projekte war der Bau der Mensa samt Hort an der Realschule in Korntal, dann kam die Neugestaltung des Schulcampus in Münchingen inklusive Mensabau. Nun wird dort noch eine Mehrzweckhalle gebaut. Wir haben die nötigen Kitaplätze geschaffen und die Schulen saniert, modernisiert und zum Teil erweitert. Damit ist die Infrastruktur bis jetzt so weit in Ordnung, dass sie den Einwohnerzuwachs gut verkraftet. Doch jetzt geht es weiter. Mit dem Stadtentwicklungskonzept hat mein Nachfolger eine große Verantwortung und die Aufgabe, mit dem Gemeinderat die Weichen richtig zu stellen.

Das verheerende Hochwasser im Jahr 2009 hat Sie nachhaltig geprägt.

Für mich persönlich war das ein tiefer Einschnitt. Ein Feuerwehrmann ist gestorben, und in diesem Umfeld hat sich meine Beziehung zu unserer Feuerwehr ein entscheidendes Stück weiterentwickelt. Bis dahin war sie für mich ein selbstverständlicher Teil der Kommune. Was die Mannschaft alles leistet, ist mir erst durch die Katastrophe so richtig bewusst geworden. Seitdem hat die Feuerwehr einen noch höheren Stellenwert. Ich habe mich nachdrücklich dafür eingesetzt, dass sie gut versorgt ist und die nötige Ausstattung hat, auch wenn das viel Geld kostet. Darüber hinaus mussten wir einiges tun, um die Stadt künftig besser vor Hochwasser zu schützen.

Die Flüchtlingskrise begleitete Ihre zweite Amtszeit.

Wir haben den Zuzug der vielen Flüchtlinge bis heute gut hingekriegt. Die Stadt hat beschlossen, das Integrationsmanagement selbst zu organisieren und zu finanzieren. Eine große Herausforderung, doch es bewährt sich. Wegen der intensiven Betreuung, der guten Standorte und der Akzeptanz in der Bürgerschaft haben wir wenig Probleme. Wir mussten auch noch keine Halle belegen.

Was raten Sie Ihrem Nachfolger?

Alexander Noak soll auf sich und seine Familie achten und eine gute Balance zwischen Arbeit und Privatleben finden. Bevor er eigene Projekte aufs Gleis setzt, sollte er die vielen laufenden weit genug umgesetzt haben. Und für den Gemeinderat wünsche ich ihm Gelassenheit und Geduld (lacht).

Weitere Themen