Korntal-Müncningen feiert 200 Jahre Korntal: Eine Tagung beleuchtet die Gründung des Ortes von allen Seiten. In der Stadt hat der Archivar Alexander Brunotte den Hut auf. Was fasziniert ihn am meisten an der Historie?

Korntal-Münchingen - Die Tagung „200 Jahre Korntal. Eine pietistische Gemeindegründung und ihr Umfeld“ nimmt die Gründungsphase Korntals und die ersten 100 Jahre bis zum Ende des besonderen Gemeindemodells in den Fokus. An einem Vortrag können Interessierte spontan teilnehmen. Diesen hält der Stadtarchivar und Co-Tagungsleiter Alexander Brunotte.

 

Herr Brunotte, was fasziniert Sie am meisten an der Geschichte Korntals?

Faszinierend finde ich den Mut, die Entschlossenheit und auch das taktische Geschick. Wie es den Pietisten um den Gemeindegründer Gottlieb Wilhelm Hoffmann gelang, in einer geradezu existenziellen Krisensituation Württembergs und gegen Vorbehalte und auch Widerstände der Ministerialbürokratie ihr Gemeindeexperiment „Korntal“ zu realisieren. Und natürlich ist es auch enorm, was in vergleichsweise kurzer Zeit hier quasi aus dem Boden gestampft wurde – die Schulen und Heime etwa.

Galt die Gründung des „heiligen Korntal“ als Vorbild im ganzen Land?

Die pietistischen Kreise in Württemberg und darüber hinaus schauten auf das, was sich in Korntal etablierte, und Korntal wiederum wirkte als religiöser „Kristallisationspunkt“ gewissermaßen ins Land hinein. Man muss die Glaubensüberzeugungen der Gründerväter nicht teilen, um ihre Leistungen würdigen zu können.

Gibt es vergleichbare Niederlassungen?

Da wäre zunächst einmal die Tochtergründung Korntals zu nennen: Wilhelmsdorf im Landkreis Ravensburg. Oder aber Königsfeld im Schwarzwald, eine Herrnhuter Gründung aus dem Jahr 1806, die den Korntalern in mannigfacher Hinsicht als Vorbild diente. Auch ihr Entstehen fußte auf einem königlichen Privileg, das in dem Fall der württembergische König Friedrich I. ausstellte – daher der Name.

In diesem Kontext fällt auch der Name des Pietistenführers Johann Georg Rapp.

Eine „radikalpietistische“ oder „separatistische“ Gruppe um den Iptinger Leineweber wanderte 1803 nach USA aus und gründete mit seinen ihm nachfolgenden Anhängern unter anderem die Siedlung „Harmony“ in Indiana, in der jegliches Privateigentum abgeschafft war. Und schließlich gibt es die Siedlungen der Templer (Tempelgesellschaft) in Palästina. Die württembergischen Templer um Christoph Hoffmann, den Sohn des Korntaler Gemeindegründers, waren 1868 dem Ruf ihres Glaubens folgend ins Heilige Land gezogen. Sie hatten als Erste mit Erfolg Sümpfe trockengelegt und das Land für Europäer bewohnbar gemacht. Viele Spuren künden noch heute von ihrer langjährigen Aufbauarbeit.

Welche Rolle spielt Korntal literarisch?

Der Schriftsteller Hermann Hesse hatte ein problematisches Verhältnis zum Pietismus. Er kam aus einem stark pietistischen Elternhaus, woran er sich rieb. Der Vater Johannes, ein Missionar, verbrachte seine letzten Lebensjahre in Korntal, die Mutter Marie besuchte dort das Töchterinstitut, und die jüngste Schwester war dort sogar Lehrerin.

Gibt es Aspekte in Korntals Geschichte, die keine Rolle mehr spielen, es allerdings wert wären, dass man sie in Erinnerung ruft?

Mir fällt da ganz spontan die Gemeindehandlung ein. Sie gehörte zu den von der, wie der Name sagt, Gemeinde beziehungsweise Güterkaufsgesellschaft geführten Betrieben. Sie versorgte die Bevölkerung mit nahezu allem, was benötigt wurde, und das bei hoher Qualität und mitten im Ort. Sie erlag später der Konkurrenz der Supermärkte.

Entwickelte sich aus der Historie heraus eine Verantwortung für heute?

Unsere Geschichte nimmt uns immer auch in die Pflicht. Das können die berühmten „Lehren aus der Geschichte“ sein, die zu beherzigen man sich vornimmt. „Nie wieder Krieg“ etwa oder Ähnliches. Oder im positiven Sinne ein Anknüpfen an Leistungen unserer Vorfahren, die es zu bewahren oder fortzuführen gilt. Voraussetzung für beides ist allerdings, dass man seine Geschichte kennt. Dazu möchte unsere Tagung auch ein wenig beitragen.

In Ihrem öffentlichen Vortrag am Freitag um 19.30 Uhr in der Stadthalle Korntal beleuchten Sie den Weg nach Korntal und wie aus dem Rittergut die Brüdergemeinde wurde. Was erwartet die Zuhörer?

Ein hoffentlich interessanter Versuch, auf das Wer, Wie und Warum Antworten zu finden. Wer waren die Akteure, die die Gründung Korntals betrieben, wie gingen sie dabei vor, auf welche Schwierigkeiten stießen sie dabei, was trieb sie an? Und warum musste es gerade Korntal sein?

Was bleibt von der Tagung? Vor allem für die, die nicht teilgenommen haben?

Nächstes Jahr erscheint in einer Reihe der Universität Tübingen ein Tagungsband, der alle Vorträge der Veranstaltung enthalten wird. Sobald er herauskommt, informieren wir die Bevölkerung.

Aus der Schule ins Archiv

Die Tagung Die dreitägige Veranstaltung vom 14. bis 16. November findet zum 200-Jahr-Jubiläum von Korntal statt, veranstaltet vom Institut für geschichtliche Landeskunde und historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen in Kooperation mit Korntal-Münchingen und der Brüdergemeinde. Die Resonanz überraschte die Organisatoren: Mehr als 120 Teilnehmer meldeten sich an, man rechnete mit 50 bis 80 Personen.

Die Person Alexander Brunotte, 63, ist seit 2001 Korntal-Münchingens Stadtarchivar. Nach dem Lehramts-Studium in Geschichte und Englisch in Würzburg sowie Referendariat am Gymnasium verschlug es ihn ins Hauptstaatsarchiv Stuttgart und Generallandesarchiv Karlsruhe, ehe er ins Strohgäu kam.