Die Stadt Kornwestheim übernimmt die stadtgeschichtliche Sammlung. Sie hat eine Herkulesaufgabe vor sich, denn ein Großteil der Exponate muss erst gesichtet und bewertet werden.

Kornwestheim - „Horcht mal, ihr Frauen.“ Der Kornwestheimer Heimatforscher Hermann Wagner ist in seinem Element. Wieder hat er etwas entdeckt, was unbedingt einer Erläuterung bedarf. Die Glockenklöppel aus der Martinskirche, das Silberbesteck der Firma Salamander oder eine große Destillieranlage zur Schnapsproduktion: Es sind rund 20 000 Exponate, die Wagner mit Mitgliedern des Vereins für Geschichte und Heimatpflege in den vergangenen vier Jahrzehnten zusammengetragen hat. Gut 13 000 Stunden, hat der 81-Jährige einmal errechnet, hat er in die stadtgeschichtliche Sammlung investiert.

 

Doch nun heißt es für ihn und für den Verein Abschied nehmen. Gudrun Dobler, Christa Mack und Hermann Wagner übergeben die Sammlung an die Stadtarchivarin Natascha Richter und die neue Museumsleiterin Saskia Dams, die zum ersten Mal sieht, was in den drei Etagen im Sprecherhaus an der Mühlhäuser Straße lagert und der Stadt per Schenkungsvertrag überlassen wird. Dams Gesichtsausdruck schwankt zwischen Begeisterung ob der vielen einzigartigen Dinge aus der Kornwestheimer Geschichte und großer Skepsis wegen der unübersehbaren Menge, die nun gesichtet und bewertet werden müssen. Am Ende muss sie entscheiden, was mit den einzelnen Gegenständen geschieht.

Zumindest die Salamander-Historie ist gut dokumentiert

Seinen Rundgang zur Übergabe der auf zwei Stockwerken und im Keller befindlichen Sammlung startet Wagner im Erdgeschoss. Salamander-Schuhe, das Karussell, in dem Kinder ihre Runden haben drehen dürfen, Schuhe, Bilder, Möbelstücke, eine alte Kanzel aus der Martinskirche: Viele Kornwestheimer kennen den Ausstellungsraum, in dem der Heimatforscher stets seine neuesten Errungenschaften präsentiert hat. Aber dort lagert nur ein Minimum von dem, was der Verein für ein Stadtmuseum – das die Kommune indes nie errichtet hat – gesammelt hat. Im rückwärtigen Raum stehen Regale über Regale, voll gepackt mit Kornwestheimer Historie. Die alte Salamander-Bibliothek, Design-Plastikstühle aus den 1970er-Jahren, Akten, Glühbirnen – nein, das Entsorgen gehörte nicht zu Wagners Stärken. Er hat verwahrt und bewahrt.

An manchen Exponaten baumeln Paketanhänger, auf denen in dürren Worten vermerkt ist, um was es sich handelt. Die Geschichten zur Geschichte hat der Heimatforscher nicht niedergeschrieben, sondern sie sprudeln aus ihm heraus, wenn er Dinge sieht oder man ihn fragt. Saskia Dams ahnt, dass es mit dieser offiziellen Übergabe nicht getan sein wird. Sie will mit dem 81-Jährigen noch einmal in aller Ruhe durch die Sammlung gehen und mit dem Aufnahmegerät aufzeichnen, was der Heimatforscher zu berichten hat.

Gudrun Dobler und Christa Mack überreichen Karteikästen mit Daten und Fakten zu einzelnen Exponaten. Vollständig ist die Dokumentation nicht. „Allenfalls die Hälfte“, sagt Christa Mack, sei festgehalten worden. Zumindest die Gegenstände aus der Salamander-Historie sind gut inventarisiert. „Das ist ja der Hammer“, ruft Dams begeistert, als sie alte Lurchi-Kostüme sieht. Das Salamander-Maskottchen hat es der neuen Museumsleiterin ohnehin angetan. Lange kann sie sich vor dem Schrank mit den gelb-schwarzen Überziehern nicht aufhalten, da macht Hermann Wagner schon aufs nächste Regal aufmerksam. „Kommt, ihr Frauen“, ruft er. Und dann muss die neue Museumsleiterin doch schlucken. Im Keller lagern bei hoher Luftfeuchtigkeit einige der Original-Werbeplakate von Salamander. „Mir kommen die Tränen“, sagt Dams und schaut zu Natascha Richter. „Die müssen sofort hier raus.“ Weitere Plakate und Lurchi-Originalzeichnungen hat der Verein dem Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg übereignet, zum Bedauern der Stadt.

Der Vereinsauftrag ist erfüllt

Im Nachbarraum steht eine riesige Stanzmaschine, die Wagner aus den Salamander-Beständen gerettet hat. Falls die Stadt nichts damit anzufangen wisse, das Deutsche Schuhmuseum in Hauenstein habe Interesse, informiert Gudrun Dobler die neuen Eigentümer. Es wäre nicht das erste Exponat aus dem Sprecherhaus für das Museum in der Pfalz. Der Geschichtsverein hat ihm aus seinem Fundus die komplette Modellschuhsammlung von Salamander – 4300 Einzelschuhe – geschenkt.

Saskia Dams bedauert das, aber ändern kann sie daran nichts mehr. Andererseits: Die Stadt bekommt mehr, als sie vermutlich verkraften kann. Nach Sichtung und Bewertung des Materials soll alles im kommenden Jahr, so die Pläne, in die alte Stadtbücherei an der Kantstraße gebracht werden – zur Zwischenlagerung, bis im ersten Stock des Galeriegebäudes ein Stadtmuseum eingerichtet worden ist. Das Sprecherhaus soll abgerissen werden. Die Stadt hatte die dortigen Räume sowie eine Scheune am Angelhof dem Verein unentgeltlich für die Sammlungsbestände zur Verfügung gestellt.

Es ist nicht nur das Wissen über die einzelnen Ausstellungsstücke, das Hermann Wagner den Vertreterinnen der Stadt voraus hat. Er weiß auch, wo sich in den verwinkelten Räumen die Lichtschalter befinden, wo die Schlüssel für die Schränke hängen. Der 81-Jährige wirkt erstaunlich gelassen dafür, dass er sein Lebenswerk in jüngere Hände gibt. Er ist auch ein Stück weit erleichtert, dass er das Sammeln nun sein lassen kann, und dass er nicht mehr Herr über unzählige Exponate ist. Das ist nun die Stadt, die vor 38 Jahren den Verein gebeten hatte, für ein Heimatmuseum zu sammeln. Der Auftrag ist mehr als erfüllt.