Sieben Pädagogen aus der türkischen Millionenstadt Konya haben sich die Theodor-Heuss-Realschule in Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg) angeschaut – und überraschende Erkenntnisse gewonnen.

Ludwigsburg: Frank Ruppert (rup)

Der Ruf des deutschen Bildungssystems hat wegen des Digitalisierungsrückstands und schlechten Werten bei der Pisa-Studie gelitten. Dennoch gibt es offenbar einige Beispiele an Schulen hier, die auch international auffallen. So war in dieser Woche eine Pädagogen-Delegation aus der Türkei an der Theodor-Heuss-Realschule in Kornwestheim zu Gast.

 

„Wir sind hier, um zu beobachten, wie die Lehrer arbeiten und daraus Erkenntnisse für unsere Kollegen daheim mitzunehmen“, sagt Fatih Atik. Der Englischlehrer hat als Sprecher der siebenköpfigen Delegation aus der Stadt Konya fungiert. Die Lehrer kamen im Rahmen des „Erasmus+“-Programms, das die Lehrerfortbildung europaweit fördert. Sie sind in der Millionenmetropole in Zentralanatolien verantwortlich für 2200 Schulen und 600 000 Schüler.

Was kann man von einem Pisa-Problemkind wie Deutschland lernen? Da fällt den Mitarbeitern aus der türkischen Schulverwaltung viel ein. „Die deutsche Disziplin ist in der Türkei bekannt“, sagt Gürken Cetin, der selbst in Gießen als Kind einige Jahre eine Grundschule besucht hat und noch heute gut Deutsch spricht. Es laufe alles sehr gesittet ab, und jeder habe eine Aufgabe, der er sich konzentriert widme.

Lehrer diskutieren lebhaft

Schnell entspinnt sich beim gemeinsamen Treffen mit Schulleiter Boris Rupnow, seinem Stellvertreter Björn Wimmer und Birgit Scheurer, die im Kornwestheimer Rathaus den Fachbereich „Kinder, Jugend, Bildung“ leitet, eine lebhafte Diskussion über den Alltag von Lehrkräften, Lehrpläne und die Ansprüche von Eltern. Dabei wird deutlich, dass die Lehrer in beiden Ländern mehr gemeinsam haben, als man denkt. „Meine Frau ist Mathelehrerin, und wir haben hier in einem Unterricht die gleiche Methodik in der Vermittlung von Stoff entdeckt wie bei ihr“, sagt Atik. Wissendes Nicken kommt auf deutscher Seite, als Atik von Eltern berichtet, denen die Noten in Tests wichtiger sind als nachhaltiges Lernen. Überhaupt herrsche in der Türkei oft großer Druck in der Schule, weil Schüler sich bei landesweiten Prüfungen für weitere Schulen oder die Universität qualifizieren müssen.

Besonders begeistert zeigten sich die Türken von dem bilingualen Profil der Realschule in Kornwestheim. In den Klassenstufen 5 bis 10 gibt es in mehreren Fächern Unterricht auf Englisch. „Damit sind wir auch in Baden-Württemberg ganz weit vorn“, sagt der Rektor Rupnow stolz.

Digitalisierung ist kein Allheilmittel

Und wie beurteilen die Gäste die Digitalisierung im Kornwestheimer Klassenraum? „An unseren Schulen haben eigentlich alle Klassenzimmer Smartboards“, sagt Atik. Das ist in Kornwestheim nicht so. „Ich finde es gut, wie Sie hier Moderne und Tradition verbinden. Es wird keine neue Technik verwendet nur um der Technik willen“, sagt Cetin. Jeder Lehrer passe den Unterricht seinen und den Bedürfnissen der Schüler an.

Schulleiter Boris Rupnow (links) und Delegationssprecher Fatih Atik im Austausch /Werner Kuhnle

Und dann kommt noch etwas Überraschendes für manche auf deutscher Seite: Die türkischen Gäste kamen auch deswegen, weil sie sich anschauen wollten, wie die Integration von Kindern mit Migrationserfahrung gelingt. „Da gibt es einen großen Zusammenhalt hier an der Schule“, zeigt sich Atik begeistert. Er hebt einen Grillabend für künftige Fünftklässler hervor, bei dem auch Halal gegrillt wurde. In Konya stehen die Schulen vor riesigen Integrationsaufgaben, weil in der Metropolregion mit etwa drei Millionen Einwohnern allein rund 200 000 syrische Flüchtlinge leben.

Die türkische Delegation hat die Zeit in der Region – auch ein Besuch der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg gehörte zum einwöchigen Programm – allem Anschein nach genossen. Ein wichtiger Teil dürfte die positive Erfahrung beim Public Viewing gewesen sein, als sich die Lehrer wie in der Türkei gefühlt hätten. Einig ist man sich auf Kornwestheimer und türkischer Seite, dass der Austausch fortgesetzt und intensiviert werden soll. Ein Gegenbesuch ist unbedingt gewünscht.