Korruption, Steuerhinterziehung, Schmiergeld – was sich liest wie ein Skript aus einem Mafia-Film von Francis Ford Coppola sind Schlagzeilen aus der Welt des Sports. Die Verbände wirken wie Teile der Organisierten Kriminalität. Es ist Zeit für den Untergang und einen Neustart, fordert Jens Weinreich.
Stuttgart - Die Fakten sprechen für sich – und sie sind erschreckend. Die olympische Welt gerät aus den Fugen. Nie zuvor in der Geschichte des organisierten Hochleistungssports wurde das in weiten Teilen kriminelle Treiben an der Spitze steinreicher Organisationen so offensichtlich wie in diesem Jahr. Es geht um Geldwäsche, organisierten Betrug, Bestechung, Erpressung, bandenmäßige Verschwörung und allerlei andere dunkle Machenschaften. In Deutschland geht es vorerst nur um Steuerhinterziehung bei der Organisation der Fußball-WM 2006. Andere mögliche Vergehen sind verjährt. Denkbar ist allerdings, dass wegen mindestens eines ominösen Geldtransfers, jene 6,7 Millionen Euro, die das WM-OK 2005 via Fifa unter Vorspiegelung falscher Tatsachen an den ehemaligen Adidas-Patron Robert Louis-Dreyfus überwies, in der Schweiz wegen Geldwäsche ermittelt wird. Die Aufklärung hat gerade erst begonnen.
Waren es jahrzehntelang vor allem Journalisten und Whistleblower, die eine Kultur der Korruption und von systematischen Doping in der Branche aufdeckten und beharrlich beschrieben, so sind mittlerweile Ermittler von Justizorganen auf allen Kontinenten und in Dutzenden von Nationen dabei, schwerkriminellen Fußballfunktionären das Handwerk zu legen. Die Recherchen und Fahndungen sind grenzüberschreitend und von historischer Tragweite. Es herrscht die helle Angst in den Machtzentralen des Sports, auch in Frankfurt beim DFB oder in Salzburg, wo Franz Beckenbauer residiert. Einigen hochrangigen Fifa-Offiziellen, darunter mehrere ehemalige Vizepräsidenten, drohen in den USA Haftstrafen von mehreren Jahrzehnten. Täglich werden neue erschreckende Details öffentlich.
Vom Ausmaß des Betrugssystems hat die Weltöffentlichkeit aber immer noch nur eine rudimentäre Vorstellung. Aus der Kriminalwissenschaft wissen wir, dass maximal drei bis fünf Prozent aller Korruptionsfälle öffentlich und von diesen nur ein geringer Teil rechtlich bewertet werden können. Im Umkehrschluss heißt das: Man darf die bisher bekannte Schadenssumme mit dem Faktor 20 multiplizieren, um das wahre Ausmaß zu erkennen. Im Fifa-Reich werden Korruptionssummen von fast einer halben Milliarde Dollar verhandelt. So reden wir, theoretisch, über eine tatsächliche Schadenssumme von zehn Milliarden. Eine Modellrechnung, gewiss. Fakt aber ist: diese Milliarden gingen dem Sport verloren. Mit diesen Milliarden hätte an der Basis, dort wo mehrheitlich ehrenamtlich, aufopferungsvoll und im Rahmen der Möglichkeiten professionell gearbeitet wird, viel Gutes bewirkt werden können.
Krimineller Leichtathletik-Clan
Die Ermittlungen, Festnahmen und Anklageerhebungen beschränken sich längst nicht nur auf die Fédération Internationale de Football Association (Fifa), die vom amerikanischen Justizministerium als Mafia-Organisation beschrieben wird. Auch an der Spitze des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF herrschte beinahe zwei Jahrzehnte lang ein krimineller Clan, die Familie des langjährigen IAAF-Präsidenten Lamine Diack aus dem Senegal. Der Pate und seine Söhne kassierten Millionensummen von Dopern, um deren positive Testergebnisse verschwinden zu lassen, sie erhielten Tantiemen von Sponsoren, sie ließen sich von Bewerbern für Weltmeisterschaften und andere IAAF-Events bezahlen.
Das sind alles keine Einzelfälle, keine Ausnahmen von der Regel, sondern einige der bislang schlimmsten Beispiele für ein weltumspannendes, zutiefst verkommenes System von Vettern- und Günstlingswirtschaft. Wer sich angesichts der atemraubenden Faktenlage noch an Relativierungen versucht, betreibt im Grunde Propaganda. Ohne gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit und Gegenwart, ohne absolute Transparenz und juristische Aufarbeitung, kann es für dieses System keine Zukunft geben.
Der olympische Sport mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), den 35 olympischen Weltverbänden (28 Sommersportarten, sieben Wintersportarten) und auch weiten Teilen der 206 Nationalen Olympischen Komitees (in Deutschland der DOSB) bilden noch immer eine global operierende Parallelgesellschaft. Die Fachverbände sind allesamt Monopole, sie genießen neben dieser Monopolstellung zahlreiche Privilegien wie Steuererleichterungen und Sondergesetze für die Austragung ihrer Wettbewerbe, sie wurden Jahrzehnte lang auch in Demokratien von Politikern und Staatsanwaltschaften geschützt, die allesamt zu gern die Augen verschlossen haben vor diesem dreckigen Treiben. Deutschland beispielsweise ist das Geburtsland der modernen Sportkorruption. Eine Hauptrolle spielt dabei die Sportartikelfirma Adidas aus Herzogenaurach. Horst Dassler, Sohn das Firmengründers Adi Dassler, hat bis zu seinem Tode im Jahr 1987 den Weltsport dominiert. Er hat mit seinen Leuten die Programme entworfen, nach denen Olympia, die Fußball-WM oder die Champions League bis heute vermarktet werden, er hat über die Austragung von Mega-Events mit entschieden, er hat Personen für Führungspositionen ausgesucht und in der Branche etabliert. Einige, wie Joseph Blatter und Thomas Bach, spielen noch immer ihre Rollen, der eine weniger gut, der andere etwas besser. Sie kommen aus demselben Stall.
Was spricht noch für deutsche Bewerbungen?
Das Beste, was einigen dieser Monopolisten passieren könnte, wäre die Zerschlagung. Sämtliche Privilegien für den organisierten Sport müssen auf den Prüfstand – auch in Deutschland, wo sich die Fachverbände daran messen lassen müssen, wie modern und transparent sie selbst aufgestellt sind und wie sich ihre Führungskader heute und in den vergangenen Jahren für Aufklärung und gegen jegliche Formen von Korruption in kontinentalen und Weltverbänden eingesetzt haben. Die internationale Bilanz der Deutschen ist nachweislich desaströs. Hat sich jemals ein Deutscher an die Spitze der Aufklärung gesetzt? Ausgerechnet in dieser Situation wollen sich der nicht nur in finanziellen Dingen intransparente DOSB mit Hamburg für die Olympischen Sommerspiele 2024 und der mit dem Vorwurf der schweren Steuerhinterziehung belastete DFB für die Fußball-EM 2024 bewerben?
Dass Organisationen wie die Fifa nicht reformierbar sind, beobachtet die Welt seit Ewigkeiten. Im absurden Rennen um die Präsidentschaft, über die auf einem Sonderkongress Ende Februar 2016 entschieden werden soll, geht es nicht zuvorderst um fundamentale Strukturveränderungen, sondern nur um Reförmchen. Das derzeit wahrscheinlichste Szenario ist die Machtübernahme durch Scheich Salman aus Bahrain, dem schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Es geht also noch schlimmer als im System Blatter. Die Fifa steuert in die Katastrophe.
Eine Allianz der Altvorderen verhindert weiterhin entscheidende Statutenänderungen, allen voran Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah aus Kuwait, der vor zwei Jahren schon bei der Inthronisierung des Tauberbischofsheimers Thomas Bach im IOC eine Hauptrolle gespielt hat. Scheich Ahmads Hobby ist es, die Posten in kontinentalen und in Weltverbänden mit seinen Leuten zu besetzen. Seine Günstlinge sitzen in etlichen Weltverbänden, etwa im Handball (IHF), wo der Ägypter Hassan Moustafa sein Unwesen treibt. Oder im Schwimm-Weltverband Fina, wo die Präsidentschaft bald an Husain Al-Musallam übergehen wird. Er ist der Adlatus von Scheich Ahmad, sein Strippenzieher in zahlreichen Funktionen, ob im asiatischen Olympiacouncil (OCA) oder im Weltverband der NOK (ANOC). Wo der Scheich ist, das ist auch Husain.
Mafiagesetz kommt zur Anwendung
Das amerikanische Department of Justice, die Bundespolizei FBI und die Steuerbehörde IRS behandeln die Fifa und deren Satelliten-Organisationen auf Grundlage des Racketeer Influenced and Corrupt Organization Acts aus dem Jahre 1970. Dieses Rico-Gesetz wurde geschaffen, um Mafiafamilien und den Vergehen von multinationalen Konzernen beizukommen. Rico steht für von Gangstern dominierte korrupte Organisationen. Dieses Gesetz ließe sich problemlos auf den Leichtathletikverband IAAF anwenden, denn die Diack-Familie ließ sich meist in US-Dollar bezahlen, und damit hätten die amerikanischen Justizbehörden Zugriff, würden sie sich auch für die IAAF interessieren. Das ist nicht mal unwahrscheinlich, denn schließlich ist der US-Sportartikelgigant Nike, dessen Geschäfte auch in den Fifa-Ermittlungen durchleuchtet werden, stark in der Leichtathletik engagiert. Nahe des Nike-Hauptquartiers im US-Bundesstaat Oregon soll 2021 eine Leichtathletik-WM stattfinden. Mit dem Briten Sebastian Coe steht ein Nike-Repräsentant an der Spitze des Weltverbandes IAAF, dem derlei Interessenkonflikte ziemlich egal sind.
Der IOC-Präsident Thomas Bach will seinen alten Freund Sebastian Coe im kommenden Jahr ins IOC aufnehmen. Lord Coe hatte noch im August, als er Lamine Diack beerbte, davon geschwärmt, der Senegalese sei für ihn ein spiritueller Führer gewesen. Coe versprach, die IAAF in der Tradition von Diack, gegen den die französische Justiz nun Korruptionsanklage erhebt, weiter zu führen. In der Tradition eines Kriminellen, das Wort „mutmaßlich“ kann man getrost streichen. Gewiss, Diack und seine Söhne sind noch nicht verurteilt und auf Kaution auf freiem Fuß, doch die Beweise, die der Kanadier Richard Pound am Montag mit der Ermittlungsgruppe der Weltantidoping-Agentur (Wada) in Genf vorlegte, die teilweise seit Jahren in Medien berichtet wurden, sind schier erdrückend. Diack, das nur am Rande, war immer auch ein treuer Unterstützer von Bach.
Der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber handelt in enger Abstimmung mit US-Justizministerin Loretta Lynch, die vor einigen Jahren, damals noch Bundesanwältin, die Ermittlungen im Fifa-Reich eingeleitet hat. Dass ausgerechnet in der Schweiz, wo mehr als 60 internationale Sportverbände residieren und zahlreiche Vergünstigungen genießen, am 27. Mai 2015 Fußballoffizielle verhaftet wurden, hat Schockwellen ausgelöst. Dutzende Vorstände anderer Weltverbände meiden seither die Schweiz, den einst so sicheren Hafen für die Sport-Piraten. Lauber und seine kleine Gruppe der Ermittler machen überhaupt keine Anstalten, die Zügel wieder schleifen zu lassen. Der Widerstand in der Politik der Eidgenossenschaft hält sich in Grenzen, auch das ist neu. Inzwischen wurden sogar zwei Gesetzesnovellen – Geldwäsche und Korruption – verabschiedet, die den mächtigen Sportfürsten größere Probleme bereiten sollen.
Der rechtsfreie Raum, in dem der Sport seine Geschäfte abwickeln konnte, ist kleiner geworden. Das ist die gute Nachricht. Flächendeckend nachhaltige Änderungen wird es aber nur geben, wenn die Daumenschrauben weiter angezogen werden.