Der Betrug beim Kinderkanal ist der fünfte ARD-Skandal in fünf Jahren. Sind die Sender gegen die kriminelle Energie von Mitarbeitern machtlos?

Stuttgart - Nicht rund sieben Millionen, wie ursprünglich angenommen, sondern 8,2 Millionen Euro hat der frühere Herstellungsleiter des Kinderkanals unterschlagen. Dies geht aus dem vorläufigen Abschlussbericht der Revisionen hervor, der seit vergangenen Freitag den Gremien des MDR vorliegt. War bisher nur von der Berliner Produktionsfirma Kopp-Film die Rede, deren fingierte Rechnungen bezahlt wurden, zeigt sich nun, das noch vier weitere Unternehmen beteiligt waren. Deren Namen werden aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht genannt. "Die enorme kriminelle Energie des Beschuldigten hat letztlich dazu geführt, dass diese Allianz von Untreue und Betrug für Außenstehende ohne spezifische Fachkenntnisse offenbar kaum zu entlarven war und so jahrelang unentdeckt blieb", kommentierte der MDR-Intendant Udo Reiter den Bericht.

 

Wie der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe zudem berichtet, prüft der MDR inzwischen auch Schadenersatzansprüche gegen frühere Entscheidungsträger: Für den langjährigen Kika-Programmgeschäftsführer und heutigen NDR-Fernsehdirektor Franz Beckmann und den ehemaligen MDR-Fernsehdirektor Henning Röhl, könnten die Veruntreuungen Konsequenz haben, sagte der MDR-Chef Reiter dem Hamburger Nachrichtenmagazin.

Nach der Schleichwerbung in Produktionen der Bavaria ("Marienhof"), den Betrügereien der Sportchefs Jürgen Emig (HR) und Wilfried Mohren (MDR) sowie der Affäre um die NDR-Fernsehspielchefin Doris J. Heinze sind die Unterschlagungen beim Kika der fünfte ARD-Skandal innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Trotz regelmäßiger Verschärfung scheinen die Kontrollmechanismen weitere Betrügereien nicht verhindern zu können.

Quer durch die Sender ist man sich einig, dass Missbrauch nie zu hundert Prozent auszuschließen sei. "Sonst wäre die Welt ja frei von Verbrechen und Vergehen", sagt der ZDF-Sprecher Walter Kehr. In diesem Sinn äußert sich auch der MDR-Intendant Reiter über den betrügerischen Kika-Herstellungsleiter: "Wenn jemand in einer solchen Position kriminelle Energie entwickelt, wird es gefährlich. Er missbraucht dann das Vertrauen, das man für seine Leitungsaufgabe in ihn gesetzt hat." Die wichtigste Sicherheitsvorkehrung ist das Vieraugenprinzip, das beim Kinderkanal systematisch ausgehebelt wurde. Walter Kehr erklärt es so: "Grundsätzlich müssen die Genehmigungsstränge einer Auftragserteilung und der späteren sachlich richtigen Zeichnung für die erbrachte Leistung sowie die Zahlungsanweisung voneinander strikt getrennt sein. Natürlich darf der Genehmiger nicht im Abhängigkeitsverhältnis zum Auftragserteilenden stehen."

Antikorruptionsmaßnahmen nach der "Marienhof"-Affäre

Beim SWR hat eine Überprüfung nach dem Kika-Skandal zu der Einschätzung geführt, "dass wir eine hohe Regelungsdichte und -kontrolle erreicht haben, die nur mit erheblicher krimineller Intensität und durch das Zusammenwirken mehrerer Beteiligter durchbrochen werden kann", sagt der Sendersprecher Wolfgang Utz. Beim BR zum Beispiel hat man nach Aussage des Sendersprechers Christian Nitsche schon nach der "Marienhof"-Affäre zusätzliche, nach eigener Ansicht beispielhafte Antikorruptionsmaßnahmen ergriffen. Die Stellen eines entsprechenden Beauftragten sowie eines Ombudsmanns wurden allerdings erst kürzlich eingeführt; beim WDR gibt es sie schon seit 2007. Dafür setzt man in Bayern nicht nur auf vier, sondern auf viele Augen: Für nachträgliche Änderungen in Projektplänen zum Beispiel sind gleich sechs Unterschriften erforderlich.

Doch nach Ansicht von Reinhold Kopp und Lutz Steffens gehen diese Maßnahmen keinesfalls weit genug. Die Berliner Juristen werfen dem Mitteldeutschen Rundfunk "gravierende Organisationsmängel im Risikomanagement und im internen Kontrollsystem" vor. Den entschuldigenden Hinweis auf die neben- oder ehrenamtliche Tätigkeit der Verwaltungsratsmitglieder lassen die Anwälte nicht gelten: Die Übernahme eines solchen Mandats setze entsprechende Sachkunde voraus. In dieser Hinsicht hätten die Gremien der ARD-Sender "sichtlich Nachholbedarf".