Joseph Blatter steht unter Druck, wurde er doch der Mitwisserschaft an millionenschwerer Korruption bei der Fifa überführt. Im Gegenzug spricht der Fifa-Boss von Unregelmäßigkeiten bei der WM-Vergabe 2006.

Zürich - Dreht er jetzt durch? Ist Joseph Blatter doch zu kippen? Schießt er sich mit seinen 76 Jahren selbst aus  dem Amt als Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa? Kaum wurde er der Mitwisserschaft an millionenschwerer Korruption überführt, kaum hat auch Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sich davon „erschüttert und geschockt“ gezeigt, keilt der Fifa-Boss zurück. Im Interview mit dem Schweizer Boulevardblatt „Blick“ sinniert Blatter über die merkwürdige Vergabe der WM 2006 an Deutschland: „Gekaufte WM . . . da erinnere ich mich an die WM-Vergabe 2006“, sagt er. Sofort heißt es beim Nachbarn aufgeregt: der Fifa-Präsident beschuldigt Deutschland. Ach Gott.

 

Anders wird ein Schuh draus. Indizien, dass Deutschland sich die WM ergaunert hat, gab es seit dem Juli 2000. Spätestens 2003, als das „Manager-Magazin“ und die „Süddeutsche Zeitung“ aus dem Konkursnachlass des Kirch-Konzerns Dokumente öffentlich machten, die belegten, wie der Medienmogul Leo Kirch und seine Helfershelfer mit Provisionen für TV-Rechte und Freundschaftsspiele (etwa des FC Bayern) Fifa-Funktionäre bedienten, wurde es konkret. Doch als die Belege da waren und Berater ihm dazu rieten, interne Ermittlungen einzuleiten, soll Blatter zurückgezogen haben. Er wollte keinen weiteren Skandal.

Stimmen Blatters Fakten?

In der Not und angesichts der sich weltweit häufenden Rücktrittsforderungen aber erinnert Blatter an die Umstände der WM-Vergabe an den DFB, als der neuseeländische Greis Charles Dempsey verwirrt nach dem ersten Wahlgang das Fifa-Hauptquartier verlassen hatte. Präzise betrachtet sagt Blatter erneut die Unwahrheit. Denn dem „Blick“ gibt er zu Protokoll, Deutschland habe 10:9 gegen Südafrika gewonnen – tatsächlich war es ein 12:11 nach Stimmen der Fifa-Exekutivmitglieder. Das ist so bei Blatter: Die Fakten stimmen eher selten.

142 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld

So behauptet Blatter unentwegt, er habe  erst im Rahmen des Konkursverfahrens des Fifa-Marketingpartners ISL 2001 davon erfahren, dass die ISL-Gruppe Schmiergeld gezahlt hat, etwa an den langjährigen Präsidenten João Havelange. Dabei hat Blatter gemäß Aussage des ehemaligen Fifa-Finanzchefs Erwin Schmid im März 1997 eine irrtümlich auf einem Fifa-Konto gelandete ISL-Bestechungsmillion weiterleiten lassen – nun behauptet er, es sei ihm nicht klar gewesen, dass das Bestechungsgeld gewesen sei. 142 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld hat der ISL-Konzern zwischen 1989 und 2001 an hochrangige Fifa-Funktionäre, aber auch Mitglieder des IOC und Führungskräfte anderer Weltverbände gezahlt. Das ist gerichtsfest. Die tatsächliche Summe dürfte weit höher liegen, denn aus den achtziger Jahren liegen keine Unterlagen vor.

Blatter war einer der besten Kumpel des ISL-Gründers und damaligen Adidas-Patrons Horst Dassler. 1975, als Blatter auch auf Dasslers Initiative hin Fifa-Direktor wurde, sein Büro in der französischen Dependance von Adidas hatte, wurde sein Gehalt zeitweise von Adidas bezahlt. Dassler überzog den olympischen Weltsport mit einem engmaschigen Bestechungsnetz, über die ISL und über die sportpolitische Abteilung von Adidas. Adidas, Dassler, die ISL – die Korruption im Weltsport ist eine sehr deutsche Geschichte. An der ISL-Vorläuferfirma Rofa war einst sogar Franz Beckenbauer beteiligt, ehemals Adidas-Ikone, FC-Bayern-Präsident, DFB-Vize und Fifa-Exekutivmitglied – jetzt Botschafter der russischen Gasindustrie, kurze Zeit nachdem Russland sich unter skandalösen Umständen die WM 2018 gesichert hat.

Dubiose Rolle bei der WM-Akquise

Auch deshalb haben die Attacken des Fifa-Präsidenten Brisanz ohnegleichen. Fedor Radmann etwa, ehemaliger Adidas- und ISL-Mitarbeiter sowie Intimus von Beckenbauer, spielte eine dubiose Rolle bei der WM-Akquise 2006, wie aus den Kirch-Akten hervorgeht. Radmann wiederum, der in der Schweiz lebt, zählt zu den Vertrauten Blatters. Bisher hielten die Kameraden zusammen, die „Mitglieder der Fußballfamilie“, wie Blatter zu flöten pflegt.

Zwanziger egal, ob Blatter fällt

Doch in der Not scheint sich jeder selbst der Nächste. Schon hat Blatter sich vom todkranken Fifa-Ehrenpräsidenten Havelange losgesagt: „Er muss weg.“ Eine weitere Unwahrheit verbreiten Blatter und seine Propagandisten, wenn sie behaupten, es habe im ISL-Verfahren keine strafrechtliche Handhabe gegen Schmiergeldempfänger gegeben. Falsch! Ein Großteil des am Mittwoch nach langem Fifa-Widerstand veröffentlichten Dokuments der Staatsanwaltschaft Zug befasst sich damit, dass Havelange & Co. wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Unterschlagung bis zu fünf Jahre Gefängnis gedroht hatten.

Was nun wohl Havelanges Jünger denken mögen, etwa Jean-Marie Weber, jener ISL-Manager, der einen Großteil der 142 Bestechungsmillionen in bar übergab? Weber hat im kleinen Kreis immer gesagt, er fürchte um sein Leben und nehme seine Geheimnisse mit ins Grab. Noch sind bei mehr als 100 Millionen die Empfänger nicht bekannt, lediglich die Tarnfirmen und Stiftungen, über die dunkle Transaktionen liefen. Die Konstellation garantiert Hochspannung, zumal sich morgen in Zürich das Exekutivkomitee trifft. Mit dabei der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, der Blatter lange die Treue hielt und glaubt, außer Blatter sei im Exekutivkomitee kaum jemand an Reformen interessiert – traurig genug. Es heißt, Zwanziger sei relativ egal, ob Blatter fällt.