Joseph Blatter hat in der Fifa-Korruptionsaffäre den Blick auf die WM-Vergabe 2006 an Deutschland gelenkt. Ihr sollen einige Ungereimtheiten vorausgegangen sein. Die Granden des Fußballs weisen die Vorwürfe zurück.

Zürich - Der erste Trost ließ nicht lange auf sich warten und kam von Franz Beckenbauer höchstpersönlich. Denkbar knapp war soeben der südafrikanische Fußballverband mit seiner Bewerbung um die Weltmeisterschaft 2006 an Deutschland gescheitert, da ließ Beckenbauer die Unterlegenen wissen: Südafrika könne das Turnier ja auch noch vier Jahre später ausrichten – „vielleicht haben sie bis dahin mehr geteerte Straßen“.

 

Das prächtig ausgebaute deutsche Verkehrswegenetz war freilich nicht der Grund dafür, dass an jenem 6. Juli 2000 in einem Zürcher Nobelhotel das Sommermärchen seinen Ausgang nehmen konnte. Stattdessen hat Joseph Blatter nun unverhohlen darüber sinniert, dass vielmehr prall gefüllte Geldkoffer nachgeholfen hätten, die WM nach Deutschland zu holen. „Gekaufte WM . . . Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe 2006“, sagte der Präsident des Weltfußballverbands (Fifa) in einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Blick“.

„Blatter steckt im Überlebenskampf“

„Er irrt“, stellt Beckenbauer klar, von „Nebelkerzen“, spricht der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Und Guido Tognoni, der langjährige Mediendirektor der Fifa, wähnt Blatter in Notwehr: „Er steckt wieder einmal in einem Überlebenskampf. Und immer wenn er ein bisschen bedrängt ist, schlägt er um sich“, sagte Tognoni.

Das ändert jedoch nichts daran, dass Blatter mit der Attacke auf seine schärfsten Kritiker aus Deutschland einen wunden Punkt getroffen hat. Viele Ungereimtheiten gingen der Vergabe der WM 2006 voraus, auf die der in die Defensive geratene Fifa-Präsident en passant den Blick gelenkt hat.

Naiv zu glauben, Deutschland hätte nicht nachgeholfen

Dass der Wahl von Austragungsorten großer Sportveranstaltungen nicht allein objektive Kriterien zugrunde liegen, wird niemand ernsthaft bestreiten. Und nach den Enthüllungen der vergangenen Jahre weiß man auch, dass Fußballfunktionäre besonders empfänglich sind für diskrete Zuwendungen finanzieller Art. Sehr naiv wäre es daher anzunehmen, die Deutschen hätten nicht auf branchenübliche Art nachgeholfen.

24 Mann umfasste 2006 das Exekutivkomitee der Fifa, das die WM vergab – 13 Stimmen benötigte es, um die Wahl zu gewinnen. Im Vorfeld der Wahl war dem deutschen Bewerberteam wohl jedes Mittel recht, die Mehrheit zu bekommen. Um den saudi-arabischen Delegierten zu überzeugen, soll die Regierung um Kanzler Gerhard Schröder kurzfristig das Waffenembargo aufgehoben und die Lieferung von 1200 Panzerfäusten genehmigt haben. Von deutschen Großkonzernen, die sich plötzlich in Regionen engagiert hätten, aus denen die Stimmen kommen sollten, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Und Beckenbauer bereiste die ganze Welt – mit seinem Assistenten Fedor Radmann im Gefolge, dem Mann mit dem Geldkoffer. Anders als die (kläglich gescheiterten) Engländer finanzierten die Deutschen ihre Kampagne rein privatwirtschaftlich, was den Vorteil bot, dass keine Bücher offengelegt werden mussten.

Einer hat den Saal verlassen

Dennoch schien es nicht zu reichen. Unmittelbar vor der Wahl waren nur zwölf Stimmen sicher, acht aus Europa, vier aus Asien. Mit den anderen zwölf durften die Südafrikaner rechnen. Im Falle eines Patts hätten sie die WM bekommen, da dann die Präsidentenstimme den Ausschlag gegeben hätte und sich Blatter auf Südafrika festgelegt hatte. Ein plötzlicher und mythenumrankter Abschied kam den Deutschen zu Hilfe: Der neuseeländische Wahlmann Charles Dempsey, damals 79 und vor vier Jahren verstorben, verließ noch vor der Wahl das Hotel. Er hatte vom ozeanischen Verband eigentlich den Auftrag erhalten, für Südafrika zu votieren. Nun entfiel seine Stimme – und Deutschland gewann 12:11.