Die Regierung Boris Johnsons ist zurzeit in einem Umfragetief. Korruptionsvorwürfe machen den Tories zu schaffen. Unter anderem sollen Adelstitel gegen Bezahlung verliehen worden sein.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London -

 

Immer neue schwere Korruptionsvorwürfe gegen Boris Johnson werden derzeit laut in London. Der konservative Ex-Regierungschef Sir John Major warf Boris Johnson zu Wochenbeginn vor, auf „schändliche“ und „unwürdige“ Weise gehandelt zu haben und so „den guten Ruf unseres Parlaments zu zerstören“. Oppositionspolitiker verlangen eine umfassende Untersuchung aller Vorwürfe gegen den Premier und seine Regierung in diesem Zusammenhang.

Auf einer Sondersitzung des Unterhauses am Montag sollte Johnson zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen Stellung nehmen. Stattdessen blieb er der Sitzung fern – was noch mehr Frustration auslöste, auch in seiner eigenen Partei.

Tory-freundliche Zeitungen in London berichteten, dass einzelne Hinterbänkler bereits heimlich seine Abwahl vorbereiteten. In Meinungsumfragen sank seine Popularität auf einen neuen Niedrigstand. Die Labour-Party und die britischen Grünen machten dagegen Boden gut.

Auslöser war ein umstrittenes Manöver Johnsons

Ausgelöst hatte die Aufregung Johnsons spektakuläres parlamentarisches Manöver der letzten Woche, mit dem er den als Strafe verhängten Sechs-Wochen-Ausschluss eines früheren Ministers und Brexit-Hardliners aus dem Unterhaus zu blockieren suchte. Owen Paterson war von den zuständigen Gremien in Westminster in aller Form der Korruption überführt worden. Er hatte sich von zwei Firmen 110 000 Pfund im Jahr bezahlen lassen, um sich für diese Firmen heimlich als Lobbyist zu betätigen.

Johnson wies jedoch seine Fraktion an, den fälligen Ausschluss-Entscheid für Paterson auszusetzen und darüber hinaus das von allen Parteien getragene, regierungsunabhängige Anti-Korruptions-System im Parlament durch ein neues System zu ersetzen.

Dieses sollte ein gänzlich neuer Ausschuss mit eingebauter Tory-Mehrheit entwerfen und beschließen. Vor der Abstimmung über diese „Reform“ und über Patersons Strafverschonung wurden unwillige Tory-Abgeordnete von der Regierung mit allen Mitteln unter Druck gesetzt.

John Major nennt Johnsons Regierung politisch korrupt

Der Vorgang löste freilich derartige Empörung aus, dass Johnson anderntags eine komplette Kehrtwende vollführen musste. Zu der scharfen Reaktion auch in den Tory-Reihen hatte beigetragen, dass Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng – wohl im Auftrag Johnsons – die für die Anti-Korruptions-Untersuchungen zuständige unabhängige „Sittenwächterin“ des Parlaments, Kathryn Stone, unverblümt zum Rücktritt drängte.

Der Vorfall veranlasste John Major, Johnsons Regierung als „politisch korrupt“ und „ganz unkonservativ“ zu bezeichnen. Der Tory-Vorsitzende des Verteidigungs-Ausschusses im Unterhaus, Tobias Ellwood, sprach von einer „finsteren Woche für die britische Demokratie“.

Der Regierung, meinte Ellwood, sei offenbar „der moralische Kompass“ abhanden gekommen. Eine andere konservative Ausschuss-Vorsitzende und Ex-Ministerin, Karen Bradley, fand, die Regierung habe das Parlament auf unerträgliche Weise „erniedrigt und ignoriert“.

Die aktuelle Affäre bringt alte Vorwürfe zurück in den Fokus

Zum Leidwesen Johnsons hat die Owen-Paterson-Affäre all die Vorwürfe wieder ins Licht gerückt, die in jüngster Zeit gegen den Premier und seine Partei erhoben wurden. Wie Paterson sollen auch andere Tories zum Beispiel lukrative Covid-Verträge, die von der Regierung gar nicht erst ausgeschrieben wurden, interessierten Geldgebern oder einfach Bekannten und Freunden zugeschanzt haben.

Am Wochenende hatte die konservative Sunday Times außerdem enthüllt, dass die Tories seit längerem reichen Gönnern, die Spenden von jeweils mindestens drei Millionen Pfund an die Partei abführen, Adelstitel und Sitze im britischen Oberhaus – der zweiten gesetzgebenden Kammer des Parlaments – verschafft haben. Dem Milliardär Peter Cruddas hatte Johnson dieses Privileg Ende letzten Jahres gegen den ausdrücklichen Willen der Ernennungskommission fürs House of Lords zuerkannt.

„Sittenwächterin“ hat Johnson schon mehrmals ins Visier genommen

Auch Johnson selbst ist von „Sittenwächterin“ Stone bereits mehrfach ins Visier genommen worden. Gegenwärtig erwägt die Anti-Korruptions-Beauftragte des Parlaments, ein Verfahren gegen ihn zu eröffnen, weil eine feudale Renovierung seiner Dienstwohnung offenbar gegen alle Vorschriften vorübergehend von einem reichen Gönner finanziert wurde.

Ein anderer Vorwurf geht dahin, dass der Premier auf Einladung eines wohlhabenden Bekannten in Spanien dort einen Gratis-Urlaub verbrachte, ohne das daheim zu deklarieren. Boris Johnson, erklärte gestern dessen früherer Chef-Berater Dominic Cummings, sei „ein Blindgänger“, den die Tories schnellstmöglich „loswerden“ müssten.