In Stuttgart unterstützt das KiJu-Projekt Kinder krebskranker Eltern. Am 8. November können Interessierte die Arbeit der Krebsberatungsstelle hautnah erleben.
Manchmal muss Anja Feldmann einen langen Atem haben: Etwa bei dem achtjährigen Jungen, der einige Wochen regelmäßig zu ihr in die Krebsberatung Stuttgart gekommen ist. Lange hat er geschwiegen, kein Wort über die Erkrankung verloren, die ein Elternteil von ihm durchzustehen hatte. „Er hatte sich abgekapselt“, sagt Feldmann. Doch dann begann der Panzer zu bröckeln: Ausgerechnet bei einem Kampf mit Schaumstoffschlägern, den sie sich bei einem ihrer Treffen geliefert haben. „Erst hat er mich ein paar Mal um den Tisch gejagt“, erzählt Anja Feldmann. „Und dann, als wir komplett außer Puste waren, brach es aus ihm heraus: die Wut und die Sorgen, die der Krebs mit in die Familie gebracht hat.“
Anja Feldmann ist Theatertherapeutin und hat sich auf die Arbeit mit Familien spezialisiert, die von einer Tumorerkrankung betroffen sind. Sie ist Teil des Projekts „KiJu“ der Krebsberatungsstelle Stuttgart – einem Angebot, das sich speziell an Kinder und Jugendliche richtet. Am 8. November – genau am Welttag der Kindes krebskranker Eltern – können sich Interessierte genauer darüber informieren. Denn da öffnet die Krebsberatungsstelle Stuttgart an der Tübinger Straße 15 ihre Türen, um auf ihre Projektarbeit mit den Familien aufmerksam zu machen.
Keine Rücksicht auf Krebserkrankung der Eltern
„Die Kinder kommen zu mir und können mit mir spielen oder auch improvisieren, wir können aber auch kreativ in Wort und Farbe werden“, sagt Feldmann. Wichtig sei dabei, den Kindern und Jugendlichen das Gefühl zu vermitteln, dass sie diese Stunde für sich ganz allein nutzen können – ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf die Krebserkrankung der Eltern.
Es gibt nicht viele Angebote in der Region Stuttgart, die sich an die jungen Angehörigen von Krebskranken richten: Dabei ist der Bedarf in jedem Fall gegeben, sagt der Leiter der Krebsberatungsstelle Stuttgart, Pau Edo-Ferrando. Das zeige sich zum einen in der Statistik des Robert Koch Instituts, nach der es bundesweit jährlich rund 50 000 Kinder gibt, die erleben, dass ein Elternteil an Krebs erkrankt. Es zeigt sich aber vor allem in den Beratungsgesprächen, die in den Büroräumen nahe des Rotebühlplatzes täglich geführt werden – persönlich oder am Telefon.
Wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt, ist für Kinder plötzlich nichts mehr so, wie es war, berichtet Pau Edo-Ferrando. Studien zeigen, dass die psychische Belastung in solchen Lebenslagen wächst: Die Kinder ziehen sich oft zurück, ihre schulischen Leistungen können leiden, Freundschaften werden vernachlässigt, und das Risiko für psychische Erkrankungen steigt. „Es ist daher wichtig, den Kindern und Jugendlichen einen Raum zu bieten, in dem sie ganz sie selbst sein können“, sagt Edo-Ferrando.
Auch Teenie-Probleme werden besprochen
Obwohl es längst Studien gibt, die den Nutzen solcher Angebote belegen, werden sie von den Krankenkassen nicht finanziert. Auch „KiJu“ und die Stelle von Anja Feldmann kann nur mittels Spenden bestehen. Für die Familien, die es in Anspruch nehmen wollen, sind die Treffen, die ab Dezember nicht mehr nur zweimal im Monat, sondern dann wöchentlich stattfinden sollen, kostenlos.
Mittlerweile kommen die Kinder von rund 15 Familien zu Anja Feldmann: Die jüngeren Kinder werden anfangs noch vom Vater oder von der Mutter zu den Einzeltreffen begleitet. Bei weiteren Terminen freuen sich die Kinder jedoch darauf, die Zeit alleine mit der Theatertherapeutin zu verbringen. Beliebt sind die Handpuppen, mit denen kleine Rollenspiele improvisiert werden können. Manche Kinder wollen von Anja Feldmann vorgelesen bekommen oder gegen sie im Brett- oder Kartenspielen gewinnen. „Die Erkrankung des Elternteils rückt oft ganz in den Hintergrund.“
Krebs soll nicht die Familie beherrschen
Die Jugendlichen nutzen vor allem das Angebot, um mit Anja Feldmann über Ärger in der Schule, Liebeskummer oder Streit im Freundeskreis zu sprechen. „Typische Teenager-Probleme, mit denen sie ihre Eltern aufgrund der Erkrankung nicht belasten wollen“, sagt Feldmann. Gleichzeitig ermutige sie die Kinder auch, mit ihren Eltern genau über solche Dinge zu reden. Der Krebs soll schließlich nicht alles in der Familie beherrschen.
Dem achtjährigen Jungen, der einen Kampf mit Schaumstoffschlägern gebraucht hat, um sich ein Stück weit von der Krankheitslast der Familie zu befreien, haben die Treffen sichtlich gutgetan, erzählt Feldmann. Denn zum Abschied habe er sie fest in den Arm genommen.
Tag der offenen Tür am 8. November
KiJu
Das Projekt „KiJu“ richtet sich gezielt an Kinder und Jugendliche, deren Elternteil an Krebs erkrankt ist. Wer Interesse hat, kann sich bei der Krebsberatungsstelle Stuttgart, Tübinger Straße 15, melden – per Telefon (0711/51 88 72 76) oder per Mail (info@krebsverband-bw.de).
Info-Tag
Am Welttag der Kinder krebskranker Eltern, 8. November, wird das Projekt KiJu Interessierten in der Krebsberatungsstelle Stuttgart vorgestellt. Um eine kurze Voranmeldung per Mail (info@krebsverband-bw.de) bis Donnerstag, 6. November, 12 Uhr, wird gebeten. Von 10 bis 13 Uhr können interessierte Familien einen Eindruck von der therapeutischen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen bekommen – und selbst mitmachen: Beim Theatersport, Mut-Steine bemalen oder an der kreativen Fotowand.
Förderung
Der Krebsverband Baden-Württemberg ist gemeinnützig und arbeitet unabhängig von wirtschaftlichen Interessen. Er ist allerdings auf Spenden und Förderungen angewiesen: Spendenkonto bei der Landesbank Baden-Württemberg IBAN: DE 97 6005 0101 0001 013900