Herrenberg soll den öffentlichen Nahverkehr zum Nulltarif erproben - weiß davon aber gar nichts. Beim VVS hält man nicht viel von der Idee, will der Pilotkommune aber keine Steine in den Weg legen.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Herrenberg - Billiger werden will der Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) für seine Fahrgäste schon. Von einem gänzlich kostenlosen Angebot, wie es die geschäftsführende Bundesregierung zunächst vorgeschlagen hat, hält die Verbundspitze aber nichts. „Eine Dienstleistung muss einen Wert haben, sonst wird sie nicht gewürdigt“, sagte die VVS-Sprecherin Ulrike Weißinger. Zudem entstünden erhebliche Kosten. Allein im VVS-Gebiet müssten jährliche Fahrgeldeinnahmen von mehr als 500 Millionen Euro ausgeglichen werden.

 

Landesweit betrugen die Ticketerlöse im Nahverkehr im vergangenen Jahr 1,5 Milliarden Euro. „Es wäre besser, das Geld in neue Fahrzeuge und neue Strecken zu investieren“, sagte Weißinger. Ähnlich äußerte sich Matthias Lieb vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD). Viele Pendler bevorzugten wegen der oft kürzeren Fahrzeiten das Auto. „Deshalb greift der Nulltarif aus unserer Sicht zu kurz“, sagte der VCD-Landesvorsitzende.

Sprißler hat noch kein Konzept

In einem am Dienstag bekannt gewordenen Brief an die EU-Kommission hatte die Bundesregierung angekündigt, als Mittel gegen die Luftverschmutzung unter anderem die Einführung eines kostenlosen Nahverkehrs in belasteten Städten testen zu wollen. Damit überraschte man selbst die Verantwortlichen in den fünf ausgewählten Testkommunen. Bei den bisherigen Kontakten mit den Ministerien für Verkehr und für Umwelt sei es um etliche Maßnahmen wie die E-Mobilität und die digitale Verkehrssteuerung, aber nie um Gratisfahrten gegangen, sagte der Herrenberger Oberbürgermeister Thomas Sprißler (Freie Wähler). Insofern gebe es bisher in seiner Stadt noch kein Konzept.

Wie es Herrenberg gelang, neben Mannheim, Reutlingen, Essen und Bonn in den Kreis der Testkommunen aufgenommen zu werden, kann auch Sprißler nicht sagen. Offenbar habe man Städte mit unterschiedlichen Problemstellungen auswählen wollen. Zudem habe Herrenberg im vergangenen November einen Bundeszuschuss über 90 000 Euro für die Erarbeitung eines Mobilitätsplans erhalten. „Vielleicht waren wir deshalb im Fokus“, sagte der OB.

Günstigere Preise wirken

Jetzt vertritt die 33 000-Einwohner-Stadt im Kreis Böblingen nicht nur die Kleinstädte, sondern, wenn man so will, auch den VVS in dem bundesweiten Test. Sollte Herrenberg den kostenlosen Nahverkehr erproben wollen, werde man dies natürlich unterstützen, versicherte die VVS-Sprecherin Weißinger. Schon bisher läuft in Herrenberg ein Pilotversuch mit verbilligten Fahrkarten. 1,80 Euro statt des sonst im VVS üblichen Ein-Zonen-Tarifs von 2,50 Euro müssen die Fahrgäste im innerstädtischen Verkehr bezahlen. Vier Citybuslinien und etliche Regionalbusse können damit genutzt werden. „Wir haben dadurch wirklich eine höhere Nachfrage generieren können“, sagte Sprißler.

Dennoch findet man bisher meist problemlos einen Sitzplatz in den Bussen. Das bedeutet allerdings nicht, dass ein Kostenlosversuch ohne kräftigen Ausbau möglich wäre. Die meisten Linien verkehren im Stundentakt, abends fahren nur noch Sammeltaxis. „Es müsste schon eine attraktivere Anbindung sein“, sagte Sprißler. Der Vorstoß aus Berlin sei „eine hochinteressante Idee, aber auch sehr komplex“.

Mannheim nimmt den Bund in die Pflicht

Während Herrenberg das vergünstigte Cityticket jährlich mit 40 000 Euro bezuschusst, dürfte sich der Aufwand für einen komplett kostenlosen Busverkehr in der Stadt je nach Ausbau schnell in sechs- bis siebenstelliger Höhe bewegen. In Mannheim werden die jährlichen Fahrgeldeinnahmen gar auf 80 Millionen Euro beziffert. Der Mannheimer Nahverkehrsdezernent Christian Specht (CDU) hat deshalb schon einmal klar gestellt, was für seine Stadt der springende Punkt ist. Der Berliner Vorschlag eröffne „ganz neue Perspektiven“ . Voraussetzung sei allerdings, dass „der Bund die finanzielle Übernahme garantiert“. Specht brachte eine „stufenweise Einführung“ des entgeltfreien Tickets ins Gespräch. Sonst würden die Straßenbahnen aus allen Nähten platzen.

Inwiefern die Maßnahme hilft, das Problem mit der Luftverschmutzung in den Griff zu bekommen, muss sich zeigen. Aus Verkehrserhebungen wisse man, dass der hausgemachte Ziel- und Quellverkehr in Herrenberg einen nicht unerheblichen Anteil habe, sagte Sprißler. Allerdings treffen sich in Herrenberg auch zwei Bundesstraßen. Wer von Calw oder Nagold nach Tübingen muss, pendelt mitten durch die Stadt. Solche Fahrten sind durch einen kostenlosen Stadtverkehr kaum zu verhindern. Die Hoffnungen auf eine Umgehungsstraße haben die Herrenberger 2015 aus Kostengründen offiziell begraben.