Die Stadt erlebt am Samstag ein kleines Comeback. Viele zieht es in die City – auch per Bus und Bahn. Aber einige wissen nicht, dass der ÖPNV kostenlos ist.

Auto oder Bus und Bahn? Das ist am Samstag die Frage. Eine Frage, die allerdings recht häufig missverstanden wird. Ist dieser Unbekannte, der einen da unvermittelt anspricht, ein militanter Öko, der einem ins Gewissen reden will? Erst bei der Nachfrage, ob man wisse, dass der öffentliche Nahverkehr an diesem Tag für die Zone eins des Tarifsystems kostenlos ist, entspannen sich die Gesichtszüge. „Natürlich mit dem Auto“, antwortet der 54-jährige Herr, „ich muss heute Vormittag arbeiten.“ Der Mann putzt Büros und kommt aus Heslach. Aber wenn er gewusst hätte, dass er heute nichts für die Fahrkarte bezahlen muss, wäre er mit der Bahn gekommen. „Aber danke für den Hinweis“, sagt er, „dann komme ich nachher noch mal mit der Bahn in die Stadt, um ein Muttertagsgeschenk zu kaufen.“ Dazu passt die Feststellung eines Fahrgastes. Er behauptet, dass „auch die VVS-App keine Ahnung von der freien Fahrt hat, die App möchte mir nämlich für eine Verbindung in der Innenstadt am heutigen Samstag ein Ticket verkaufen, obwohl ich ja eigentlich frei fahren darf“.

 

Manche kaufen trotzdem ein Ticket

Ein Beispiel von einer kleinen Stichprobe unter rund 20 Befragten, dass offenbar für recht viele Bummler steht. Auch das junge Pärchen, das am Schlossplatz eng umschlungen aus der Stadtbahnhaltestelle die Treppe hochsteigt, ist teilweise überrascht von der Kostenlosbotschaft. „Ich habe ein Ticket gekauft“, sagt er. Und ehe er weiter erzählen kann, sagt seine Begleiterin: „Siehste, ich habe es dir doch gesagt.“ Er lächelt gequält und gibt zu: „Ich habe gedacht, du verarschst mich.“ Wie er , so können viele nicht glauben, dass man etwas geschenkt bekommt. Und sie haben schlicht keine Informationen darüber. Wenige haben von dem Angebot, das insgesamt vier Samstage umfasst, erfahren. Andere haben auf der Suche nach der richtigen Verbindung auf der Internetseite des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart (VVS) davon erfahren. So wie eine vierköpfige Familie, die aus Amsterdam zu Besuch bei Oma in Kirchberg an der Murr ist. Sie haben das nötige Kleingeld für die Fahrt bis Zone eins obendraufgezahlt und fahren jetzt munter und kostenlos durch die Stadt. Nächstes Ziel: vom Rathaus zum Marienplatz und wieder zurück.

Heute ein Gläschen mehr

Gleiches Bild auf der Dachterrasse von Tritschler. Dort trifft an jedem ersten Samstag im Monat „Ilzhöfers Kochshow Kesslers Sektbar“. Da kann es schon mal passieren, ein Gläschen zuviel zu trinken. Doch an diesem Samstag ist das einer kleinen Runde völlig egal: „Heute fahren wir Straßenbahn“, jubeln sie. Genau so hat es sich der Gemeinderat vorgestellt, als er für drei Samstage in diesem Jahr insgesamt 750 000 Euro locker gemacht hat: Die Bürger sollen das Auto stehen lassen und mit den Öffentlichen in die Stadt kommen. Auch der City-Manager Sven Hahn frohlockte, als die Entscheidung im Rathaus feststand. Schließlich kämpft er seit Jahren hart für den kostenlosen ÖPNV an Samstagen. Gebetsmühlenhaft verwies er auf Beispiele in Ulm, Tübingen, Heilbronn oder Hannover. Doch an der Aktion von Hannover zeigt Hahn auch, dass das Bessere der Feind des Guten ist: „Dort hat man 100 000 Euro für Werbung und Kommunikation miteingepreist.“ Anders als in Stuttgart hätten dort die Menschen rechtzeitig von der freien Fahrt mit Bus und Bahn erfahren.“

Die Stadt ist belebt, aber es geht noch mehr

Wie auch immer: Alle diese Städte – und nun auch Stuttgart – haben erkannt, dass die Citys nach den Lockdowns und den Coronaeinschränkungen eine Anschubhilfe brauchen. Überall stimmten Händler, Gastronomen und Kulturschaffende zuletzt dasselbe Klagelied an: Die Leute kommen nicht mehr in die Stadt. Es droht eine Verödung der City.

Davon ist in Stuttgart an diesem Samstag jedenfalls nichts zu sehen. Die Tische der Straßencafés sind fast alle besetzt, die Plätze und Straßen sind voll, die Laune der Menschen entsprechend gut. Die warmen Sonnenstrahlen tun ihr Übriges. In der Sprache der Händler würde man sagen: die Passantenfrequenz ist extrem gut. Es wirkt so, als feiere die Stadt ihr Comeback.

Entsprechend fällt die Bilanz des VVS aus: „Auch wenn wir keine genauen Fahrgastzahlen liefern können, kann man sagen, dass deutlich mehr Menschen mit Bus und Bahn unterwegs waren, als die vergangenen Samstage. Wir ziehen eine erste positive Bilanz und freuen uns, dass die Bürgerinnen und Bürger das Angebot gut genutzt und die Innenstadt belebt haben“, sagt VVS-Sprecher Niklas Hetfleisch und ergänzt: „Nach einer langen Durststrecke durch die Corona-Pandemie tut das dem Einzelhandel und den Gastronomiebetrieben gut – aber natürlich auch dem Nahverkehr, da Bahnen und Busse wieder gut gefüllt waren.“

Auch der City-Manager Sven Hahn hat viel positive Rückmeldung bekommen: „Ich war gestern noch lange unterwegs und habe viel telefoniert. Handelshäuser wie etwa Kaufhof sprechen sogar von sensationellen Umsätzen und führen es auf das kostenlose Ticket zurück. Auch die Gastronomie und die Trickfilm- Macher waren extrem zufrieden.“

Doch der Straßenverkäufer der „Trottoir-Zeitungen“, der Tag für Tag zwischen Stiftskirche und Marktplatz steht, winkt ab. Er glaubt, die Frequenz besser zu erspüren als jede Lasermessung. „Ja“, sagt er, „heute ist was los. Aber das Ganze ist noch ein gutes Stück davon entfernt, wie es an einem Samstag vor Corona war.“ Sven Hahn bestätigt das Gefühl des Zeitungsverkäufers: „Eine Messstelle auf der Königstraße zeigte an diesem Samstag ein Plus von 30 Prozent an Passantenfrequenz. In der Spitze wurde 11 000 Besucher pro Stunde gemessen. Aber mit mehr Werbung würden wie die Reichweite der Aktion und vermutlich die Frequenz steigern.“