Die Fukushima-Reaktoren haben bekannte Schwächen. Weltweit gibt es 32 Meiler vom gleichen Bautyp. Werden diese nun stillgelegt?

Tokio - Das Reaktorunglück in Japan hat die Aufmerksamkeit auf die Bauart der betroffenen Meiler gelenkt. Fünf von den sechs Reaktoren des Kraftwerks Fukushima I haben eine stählerne Schutzhülle des Typs Mark I. Die Stahlhülle, auch Containment genannt, umgibt den Reaktorkern, um bei einem schweren Unfall den Austritt von radioaktiven Partikeln zu verhindern. Das Mark-I-Containment ist seit seiner Entwicklung umstritten. Weltweit findet es sich in 32 Reaktoren, 23 davon stehen in den USA.

 

Den Bauplan von Reaktoren mit der Mark-I-Hülle entwickelte der Konzern General Electric in den sechziger Jahren. Der Mark-I-Typ sieht aus wie eine überdimensionale Birne. Er ist kleiner als andere Schutzhüllen und war bei der Herstellung billiger. US-Fachleute kritisierten die Mark-I-Bauweise schon Anfang der siebziger Jahre. Sie zweifelten daran, dass das Containment dem Druck, der nach dem Ausfall der Kühlung entstehen kann, standhält. Im Innern kann sich ein hoher Druck aufbauen, falls die Brennstäbe überhitzen und zu schmelzen beginnen.

Wiederholt verordnete die Nuclear Regulatory Commission, die Reaktorsicherheitsbehörde in den USA, Nachrüstungen für Reaktoren dieses Typs. Eine wichtige Rolle spielen Komponenten zur Druckentlastung, die am unteren, wulstförmigen Bereich der Meiler hinzugefügt wurden. Diese Modifikationen gehen auf Bedenken zurück, ob das Containment im Ernstfall stabil genug wäre. Aus dem Reaktor kann Dampf abgelassen werden, der durch Wasser geleitet wird, um die Radioaktivität zu mildern. Die zusätzlichen Komponenten sollten diese Druckentlastung erleichtern.

Niemand hat über alle Veränderungen Buch geführt

Dass die Sorgen berechtigt waren, deutet sich jetzt in Japan an: Im Kraftwerk Fukushima I könnte laut offiziellen Angaben das Containment der Reaktorblöcke 2 und 3 beschädigt sein: nicht aber wegen eines hohen Innendrucks, sondern möglicherweise aufgrund von Wasserstoffexplosionen außerhalb der Schutzhülle. Es wären die ersten Brüche eines Mark-I-Containments seit seiner Entwicklung.

Die Frage, wie groß die Ähnlichkeit zwischen den 32 Reaktoren mit Mark-I-Hülle ist, lässt sich nicht leicht beantworten. Niemand hat über alle Veränderungen Buch geführt. Generell tauschen sich Fachleute über Verbesserungen an Reaktoren aber rege aus. Dabei orientiert man sich am Herstellerland und an den Erfahrungen von Kollegen in anderen Ländern, die am gleichen Reaktortyp arbeiten.

Durch Nachrüstungen verändern sich Reaktoren an verschiedenen Standorten, so dass Unterschiede zwischen Exemplaren entstehen, die zu Beginn baugleich waren. "Eine Grundähnlichkeit bleibt aber bei gleichem Modell gegeben", sagt Stephan Jühe von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Abgesehen davon seien die Probleme im Kraftwerk Fukushima in erster Linie der Naturkatastrophe geschuldet und nicht dem Reaktormodell: Der Tsunami setzte die Notstromversorgung und damit letztendlich die Kühlung außer Kraft.

Das Reaktorunglück in Japan hat jetzt in vielen Ländern Diskussionen über die Atomkraft ausgelöst - vor allem dort, wo ähnliche Reaktoren stehen wie in Fukushima. In Europa ist dies in erster Linie das Kraftwerk Santa Maria de Garona nahe Burgos in Spanien. Der Reaktor von Mühleberg nahe Bern in der Schweiz weist ein ähnliches, aber teilweise modifiziertes Design auf. In beiden Ländern wird jetzt über die mögliche Stilllegung der Reaktoren debattiert. Standorte mit Mark-I-Reaktoren, die so stark durch Erdbeben und Tsunamis gefährdet sind wie in Japan, findet man in anderen Ländern aber nicht.

Veranstaltungstipp: Jörg Starflinger, Leiter des Instituts für Kernenergetik und Energiesysteme der Uni Stuttgart, nimmt zum Reaktorunfall in Japan Stellung: am Donnerstag, 24. März, um 16 Uhr im Hörsaal 47.02, Campus Vaihingen, Pfaffenwaldring 47.

Besonderheiten der Reaktoren

Abklingbecken: Am Kraftwerk Fukushima I geht nicht nur Gefahr von den Reaktorkernen aus, sondern auch von den Abklingbecken, in denen abgebrannte und ungenutzte Brennstäbe gelagert werden. Die Brennstäbe in den Becken müssen ständig gekühlt werden, weil die enthaltenen radioaktiven Substanzen weiter Wärme produzieren. Bei hohen Temperaturen kann am Hüllmaterial der Brennstäbe explosiver Wasserstoff entstehen. Bei Explosionen dieses Typs scheint in Japan radioaktives Material in die Atmosphäre gelangt zu sein. Die Kritik an den Fukushima-Reaktoren zielt auch auf die Tatsache, dass die Abklingbecken bautechnisch nicht so gut geschützt sind wie bei moderneren Reaktoren.

Siedewasserreaktor: Bei den Meilern am Kraftwerk Fukushima I handelt es sich um Siedewasserreaktoren der Firma General Electric. Es liegt ein Funktionsprinzip zugrunde, das schon seit den fünfziger Jahren beim Bau von Kernkraftwerken verwendet wird. Im Reaktorkern kocht beim Betrieb tatsächlich Wasser. Auch in Deutschland gibt es Siedewasserreaktoren; sie wurden von deutschen Firmen entworfen und gebaut. Bis vor dem aktuellen Moratorium waren sechs prinzipiell in Betrieb. Drei davon – Brunsbüttel, Isar 1 und Philippsburg – wurden jetzt für drei Monate heruntergefahren.