Zum ZKM-Jubiläum bietet die Band Kraftwerk ein maßstabsetzendes audiovisuelles Programm – und eine Zeitreise durch vierzig Jahre Bandgeschichte.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Karlsruhe - Wie geht’s der Band Kraftwerk so? Bestens, möchte man meinen, schaut man auf ihre Tatkraft. In diesem Jahr hat das Quartett aus Düsseldorf für seine Verhältnisse außerordentlich viele Konzerte gegeben, eines in Stockholm, eines in Mexiko-Stadt, einige weitere in den USA sowie bei den Wiener Festwochen. Im vergangenen Jahr und 2011 gab es sogar Auftritte in Deutschland, was besonders bemerkenswert ist, weil die weltweit noch immer einflussreichste deutsche Band ihre karg gesäten Konzerte für gewöhnlich zwar rund um den Globus, aber nur selten in ihrer Heimat gibt.

 

So gesehen kann sich das Zentrum für Kunst und Medientechnologie glücklich schätzen, dass Kraftwerk sich für die einzigen Deutschlandkonzerte in diesem Jahr Karlsruhe ausgesucht hat. Die Sache beruht auf gegenseitiger Zuneigung, die Band spielte bereits 1997 dort, als das Kulturzentrum in die ehemalige Fabrikhalle einzog. Wiederum ist folgerichtig, dass diese Musiker die Stargäste der Jubiläumsfeierlichkeiten sind. Die Einrichtung begreift sich als Schnittstelle zwischen Kunst, Medien und der digitalen Welt, sie sucht nach Antworten und Synergien; sie macht somit das, was auch Kraftwerk als künstlerische Basis betrachtet. Die Konzerte der Band sind seit vielen Jahren multimediale Performances, der Grad der Verfeinerung nimmt ständig zu.

Zeitreise durch vierzig Jahre Bandgeschichte

Sinnbildlich hierfür ist der ausufernde Klassiker „Autobahn“, der gegen Mitte des letzten der drei Auftritte am späten Samstagabend aufgeführt wird. Ein nostalgisch gefertigtes Video läuft dazu über die Riesenleinwand, ein alter VW-Käfer mit Düsseldorfer Kennzeichen tuckert durch eine virtuelle Landschaft, die aus heutiger Sicht so plump wirkt, als habe sie ein Spiele-Entwickler spaßeshalber in der Mittagspause auf seinem Smartphone programmiert. 1974 war das State of the Art, und neben zahlreichen weiteren perfekten Momenten leistet dieses Konzert eben auch dies: in einer Zeitreise durch vierzig Jahre Bandgeschichte zu verdeutlichen, wie vergänglich Innovation ist.

Umgekehrt und ebenfalls umwerfend vermag die Band ihr Schaffen zugleich auf bestem technischem Stand von heute in Szene zu setzen. Am Einlass werden 3-D-Brillen ausgehändigt, und was man durch sie beim Konzert sieht, sind Raumprojektionen, die wiederum Lichtjahre entfernt sind von den Kinderschuhtagen der 3-D-Technik, von rot-grünen Brillen, durch die man gekippt gehaltene Bilder bestaunte, die dadurch eine gewisse Räumlichkeit erhielten. Zu dem nolens volens ausschließlich aus Klassikern bestehenden Konzert (das letzte Album ist vor elf, das vorletzte vor 28 Jahren veröffentlicht worden) ist eine perfekt ausgeklügelte, buchstäblich raumgreifende dreidimensionale Videochoreografie zu sehen, die erstmals vor drei Jahren vorgestellt und seitdem verfeinert wurde. Jeder Stein passt auf den anderen, jedes Rädchen in dieser fantastischen Inszenierung eines audiovisuellen Liveerlebnisses greift ins andere, die Darbietung schlägt in ihrer Detailverliebtheit wie ihrem Einfallsreichtum in den Bann. Es fällt auch fleißigen Großkonzertgängern schwer zu beschreiben, wie weit sich Kraftwerk mit dieser Show selbst über ambitionierteste Dramaturgien turmhoch hinwegsetzt. Dieses Konzert ist ein echtes Fest der Sinne, eine multimediale Meisterleistung.

Hinter Knöpfen, Reglern und Tasten

Der Ablauf aller drei am Freitag und am Samstag in Karlsruhe angesetzter und natürlich innerhalb weniger Minuten ausverkaufter Konzerte war ähnlich, anders lässt sich eine so ausgeklügelte Ton-Bild-Kombination überhaupt nicht realisieren. Gleichwohl variierte die Setlist bei jedem Auftritt. Auch beim letzten, dem Nachtkonzert in den Sonntag hinein, stehen die vier Musiker so schlank wie stoisch in mondrianesken Einteilern hinter Pulten, ohne dass sich erahnen lässt, welche Knöpfe, Regler oder Tasten sie dort bedienen, so dass hier selbst die Grenzen zwischen Mensch und Maschine fließend erscheinen. Sie spielen passend dazu später „Man-Machine“, zum Auftakt jedoch „Die Roboter“ und danach das fulminante „Spacelab“. Die vier Männer rund um das einzig verbliebene Gründungsmitglied Ralf Hütter servieren von „Das Modell“ über „Computerliebe“ und „Trans Europa Express“ bis hin zur 2003er Version von „Tour de France“ 23 Songs lang einen fesselnden Ritt durch alle Phasen ihres bald fünfzig Jahre währenden Schaffens. Beifallsumrauscht, aber genau so wortlos wie zuvor im gesamten Konzert, räumen sie anschließend die Bühne, auf der sie Raum und Zeit zerstückelnd eindrucksvoll manifestiert haben, warum sie von Anfang an  weltweit zu den wichtigsten Impulsgebern ambitionierter Popmusik zählten. Und noch immer zählen.