Die New Yorker reißen sich um Karten für die Konzerte von Kraftwerk im Museum of Modern Arts. Auf dem Schwarzmarkt brachten die Tickets vierstellige Dollarsummen.

Man Stuttgart - ist es ja gewohnt, dass sich vom Eingang des Museum of Modern Art an der 53. Straße bis zur sechsten Avenue wahrhaftige Mobszenen abspielen. Insbesondere an den Abenden, an denen das Museum freien Eintritt gewährt, drängeln sich hier Touristen und kunstbeflissene New Yorker in Massen, um die Sonderausstellungen im Tempel der westlichen Moderne zu bewundern. Diese Woche war das wieder so, doch das Publikum hob sich deutlich von den üblichen MoMA-Gästen ab. Viele Designeranzüge und -brillen waren zu sehen, durchmischt von Bärten aus der Brooklyner Clubszene.

 

Die Besucher waren in der Hoffnung gekommen, doch noch ein Ticket für DAS New Yorker Musikereignis der Saison zu ergattern. Offiziell war die Konzertreihe der deutschen Elektro-Kultband Kraftwerk nämlich schon seit Monaten ausverkauft. Auf dem Schwarzmarkt brachten die Eintrittskarten für die acht Abende, zu denen jeweils 450 Gäste eingelassen wurden, vierstellige Dollarsummen. Das Konzept des deutschen MoMA-Kurators Klaus Biesenbach, Kraftwerk ins Museum zu holen, war offenkundig aufgegangen. Wie schon bei der Biennale in Venedig und im Münchner Lenbachhaus tat der gediegene institutionelle Rahmen dem Coolness-Faktor der Techno-Urväter nicht den geringsten Abbruch. Im Gegenteil.

Man nimmt es der Band nicht übel, wenn sie mit dem Kunstestablishment ins Bett steigt. Auch nicht, dass sie sich ihre Konzertreihe am MoMA von VW finanzieren lässt. Kraftwerk ist über solche Kategorien der Käuflichkeit längst erhaben. Das liegt vor allem auch daran, dass Kraftwerk unvermindert relevant ist, vielleicht mehr denn je. Wenn die Musiker auf die Bühne steigen, ist das kein Nostalgieakt wie bei den Stones. Es ist eher ein rückblickendes Nachvollziehen, wie weit Kraftwerk seiner Zeit voraus war. Kraftwerk nach zehn, nach zwanzig oder nach dreißig Jahren wieder zu hören und zu sehen, bedeutet immer Dimensionen zu entdecken, die man vorher noch gar nicht ganz begreifen konnte.

Techno und Elektro in den USA auf dem Vormarsch

Das gilt für das New Yorker Publikum in besonderem Maße. Anders als in Deutschland hat man hierzulande Kraftwerk nicht als Ausdruck eines epochalen Lebensgefühls erlebt – des Deutschlands der Siebziger, das zwischen Atomangst und Fortschrittseuphorie schwankte. Nach Amerika kam Kraftwerk hingegen zuerst durch seine Zitate, die von David Bowie über den Hip-Hop von Afrika Bambaataa bis hin zu Coldplay reichten. Erst von diesen Zitaten aus erschloss man sich deren Ursprung bei den Düsseldorfer Tontechnikern.

Zuträglich ist dem Kraftwerk-Kult in New York sicher auch, dass Techno und elektronische Tanzmusik erst in jüngster Zeit hier so richtig Fuß fassen. Erst in den vergangenen Jahren pilgern junge Brooklynites in Horden nach Berlin, um im Berghain zu tanzen. Die Underground-Partyszene beginnt sich langsam zu entwickeln. Diese Szene stürmt nun ins MoMA, um sich aus der Nähe anzugucken, woher das alles kommt. Dabei bekommt sie mehr geboten, als sie sich erhofft haben dürfte. Denn wie schon in München tut Kraftwerk viel mehr, als an acht Abenden den Plattenkatalog von „Autobahn“ (1974) bis „Tour de France“ (2003) herunterzuspielen.

3-D-Projektionen unterstreichen das Gesamtkunstwerk

Die Kompositionen sind für den New Yorker Auftritt durchgehend aktualisiert worden. Rhythmen und Texte wurden angepasst. So wurde der „Trans Europa Express“ mit einem schweren Bass angereichert. „Computer Love“ kam jetzt als solider Club-Track daher. Zum wirklich neuen Erlebnis machen den Kraftwerk-Auftritt jedoch die 3-D-Projektionen, auch wenn man viele Bilder bereits von der Tournee der Band 2002–2005 in 2-D schon kennt. Kraftwerk transformiert mit Hilfe der „Avatar“-Technologie den Raum und zieht den Besucher in das Herz der Maschine. Man fährt in einem VW-Käfer über das graue Band einer deutschen Autobahn, während aus dem Radio „Autobahn“ tönt und findet sich bei „Nummern“ in einem LED-Zahlenstrudel wieder. Es ist, als hätte die Musik von Kraftwerk vierzig Jahre lang nur auf diese Technologie gewartet.

Am Ende versteht man, warum Biesenbach Kraftwerk ans MoMA geholt hat. Das Museum bemüht sich seit ein paar Jahren, sich der multimedialen Kunst zu öffnen. Kraftwerk als Gesamtkunstwerk machte sich in dem Atrium, in dem schon Monet, Rodin und Serra gastiert haben, bestens. Die Adelung steht Kraftwerk zu, die Band ist längst mehr als eine Popgruppe. Und das Museum gewinnt dadurch wieder etwas von jener Lebendigkeit zurück, die es auszeichnete, als es sich vor achtzig Jahren anschickte, Amerika mit der neuen aufregenden Kunst aus Europa aufzurütteln.