CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer muss ihre Partei aus der Umklammerung zwischen Ost und West herausführen. Doch wie soll das gelingen? Die Zeit drängt.

Berlin - Ronja Kemmer ist eine der Jungen, deren Rat in den Wind geschlagen wurde. Die Bundestagsabgeordnete, gerade 30 Jahre alt geworden, beackert im Parlament jene digitalen Themen, die der Union zusammen mit dem Klimaschutz gerade zum Verhängnis geworden sind. Die Ulmerin sah die Protestwelle frühzeitig kommen, als Netzaktivisten auf das Ja zum neuen EU-Urheberrecht mit dem Twitter-Hashtag „Nie wieder CDU“ reagierten, der sich massenhaft verbreitete und dem Anti-CDU-Video des Youtubers Rezo erst den Boden bereitete. „Die Tragweite wurde gewaltig unterschätzt, die Mahner wurden ignoriert“, ärgert sich Ronja Kemmer am Morgen nach der Wahl, bei der ihrer Partei mit nur noch 13 Prozent bei den unter 30-Jährigen die Jugend abhandengekommen ist.

 

Arrogante Haltung

Jetzt wissen sie es besser im Konrad-Adenauer-Haus und geben sich demütig. Keine 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale steht Annegret Kramp-Karrenbauer im Foyer der Parteizentrale und nimmt so oft das Wort „Fehler“ in den Mund, wie es nicht unbedingt typisch ist für die Partei, die es für eine Art Naturgesetz hält, die Republik zu regieren. „Wenn wir Fehler machen, stehen wir zu diesen Fehlern“, sagt also die Parteivorsitzende. Sie meint die zögerliche und arrogante Reaktion auf Rezo, aber auch die konzeptionelle Leerstelle beim Topthema Klimaschutz und dass der Eindruck entstanden ist, sie habe der Union in Abgrenzung zur Vorgängerin Angela Merkel einen Rechtsruck verordnet. „Das ganze Leben besteht aus Fehlern, sonst könnte man es gleich lassen“, meint die Saarländerin, „entscheidend ist, was man aus diesen Fehlern lernt.“

Viel erfährt die Öffentlichkeit an diesem Montag darüber noch nicht. Erste Antworten sollen bei einer Klausur am Sonntag und Montag gefunden werden. Kramp-Karrenbauers Zeithorizont, um ihre CDU für die nächste Bundestagswahl neu aufzustellen, zielt jedoch auf den Parteitag 2020 – von einer Kabinettsumbildung will sie erst mal nichts wissen. Jenen, die im Herbst drei Landtagswahlen im Osten Deutschlands zu bestreiten haben, geht das nicht schnell genug. AKK aber beharrt, dass es mit Änderung einiger Beschlüsse oder ein paar personellen Neuerungen nicht getan ist. „Das wird keine einfache und leichte Operation.“

Die Partei ist sich uneins

Auch für sie persönlich nicht. Die Sitzungen von Präsidium und Vorstand dauern länger als geplant, es gibt Gesprächsbedarf. Nach knapp sechs Monaten Amtszeit ist Kramp-Karrenbauers Schonfrist abgelaufen. Das erste Wahlwochenende unter ihrem Vorsitz war nicht der erhoffte Befreiungs-, sondern ein Rückschlag. Die Chefin ist nicht sofort wieder infrage gestellt worden, aber der Druck auf sie wird zunehmen. AKK muss jetzt liefern.

Wie schwierig das wird, zeigen die Wahlanalysen und Äußerungen aus der Partei, die in entgegengesetzte Richtungen weisen. Der Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker aus Baden-Baden, Jahrgang 1985, bemängelt, dass seine Volkspartei CDU am Sonntag nicht für alle Generationen wählbar gewesen sei – auch wegen der ewigen Richtungsdebatten: „Wir müssen aufhören mit Links-rechts-Diskussionen, die wir intern führen, aber bei den Bürgern null Rolle spielen.“ Christian von Stetten dagegen, Chef des Parlamentskreises Mittelstand, sieht das anders. „Die Fehler aus dem Jahr 2015 sind hauptverantwortlich für die jetzige katastrophale Situation der CDU.“ Nix Klima, nix Internet.

Annegret Kramp-Karrenbauer benennt das Dilemma selbst. In den westlichen Bundesländern hat ihre Partei an die Grünen verloren, da sie als Klimaschutzbremser wahrgenommen wurde. Im Osten nahm die AfD der CDU Prozentpunkte ab, weil sie für zu viel Umweltschutz stand, unter dem jetzt Dieselfahrer litten. Also stellt AKK die entscheidende Frage, „ob wir in dieser Kontroverse zerrieben werden“.

Gegen Rezo zurückgekeilt

In Merkels Kanzleramt sehen sie die Regierungspartei in der „Sandwichposition“. Es werde für Volksparteien immer schwerer, die Themen einer individualisierten und polarisierten Gesellschaft in sich zusammenzuführen, heißt es dort. Als Abgesang auf eine kraftlose Groko will man das in Merkels Umfeld natürlich keineswegs verstehen, sondern als Aufforderung, die schwierige Rolle in der Mitte aktiv und selbstbewusst anzunehmen.

Ganz so weit scheint Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag noch nicht zu sein. Zumindest nimmt sie die harsche Youtube-Kritik nicht sofort als Ansporn, sondern keilt erst einmal kräftig zurück. Wenn Rezo Unterstützer der demokratischen Mittepartei CDU als „minderbemittelt“ darstelle, sei das, so AKK, „ein Schlag ins Gesicht“ und gehe gegen „die Ehre der Partei“. Das Zurückgewinnen der Jugend muss also noch ein bisschen warten.