In fast keinem Landkreis in Baden-Württemberg wird nicht darüber nachgedacht, wie sich die Krankenhäuser für die Zukunft aufstellen müssen. Seit der Einführung der Fallpauschalen müssen sie effektiver wirtschaften.

Stuttgart - Der Landkreis Biberach hat seine Krankenhäuser zum 1. Januar 2013 an die privatwirtschaftliche Sana AG verkauft. Das Haus in Riedlingen soll – zum Ärger der Menschen dort – in einigen Jahren dicht gemacht werden.

 

Der Landkreis Ravensburg will sein Oberschwaben-Klinikum gesunden und dazu Standorte schließen. In Isny zum Beispiel: dort regt sich Widerstand, sogar das Verwaltungsgericht wurde mit dem Fall befasst und hat der Stadt einstweilig recht gegeben – der Kreis darf das 19-Betten-Haus vorerst nicht schließen.

Im Landkreis Freudenstadt wird für den zweiten Standort der Kreisklinik in Horb ein neuer Betreiber gesucht. Das vor Kurzem noch aufwendig erneuerte Haus freilich ist seit kurzer Zeit zu.

Hoffnungslos defizitär

Im Landkreis Esslingen raufen sich die Stadt Esslingen als Träger eines städtischen Krankenhauses und der Landkreis als Betreiber des Kreiskrankenhauses mit Dependancen in Plochingen, Kirchheim, Nürtingen und Ostfildern nach erbittertem Streit ganz langsam zusammen. Beider Betriebe sind hoffnungslos defizitär. Die Fusion scheint der Ausweg.

Im Landkreis Sigmaringen ist man schon weiter. Die Kliniken in Sigmaringen, Pfullendorf und Saulgau wurden schon vor einiger Zeit zu einem einheitlichen Kreiskrankenhaus an eben diesen drei Standorten verschmolzen. Doch sind die Effizienzgewinne dieses Rationalisierungsschritts inzwischen verbraucht. Jetzt suchen der Landkreis und der Spitalfonds Pfullendorf als gemeinsame Träger der Einrichtung nach einem „strategischen Partner“. Er soll helfen, die Standorte zu erhalten.

Gemeinsam stärker?

Die Kreise Böblingen und Calw wollen im Verbund eine neue Klinik mit 730 Betten hochziehen. In Göppingen scheint die Klinik am Eichert am Ende. Auch dort will der Kreis ein ganz neues Haus bauen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis kann man bald die Fertigstellung des neuen Krankenhauses feiern; der Landkreis und die Stadt Villingen-Schwenningen mussten dafür Kompromisse eingehen. Im Rems-Murr-Kreis werden zwei Krankenhausstandorte in Waiblingen und Schorndorf in einem neuen Großklinikum in Winnenden zusammengefasst. Im Herbst soll Eröffnung sein.

Und so weiter.

Baden-Württemberg hat 44 Stadt- und Landkreise, fast überall muss über die Zukunft der stationären Akutversorgung nachgedacht werden.

Immer mehr – und doch zu wenig

Grund ist die wirtschaftliche Schwäche der Krankenhäuser. Es klingt paradox: Die Krankenkassen haben 2012 für die stationäre Versorgung ihrer Versicherten im Land fast sieben Milliarden Euro aufgewandt. Der stationäre Sektor erhält deutlich mehr Geld als die niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte zusammen. 35 Prozent der Ausgaben der AOK Baden-Württemberg zum Beispiel flossen an die Kliniken. Und doch reicht dort das Geld nicht.

Das war früher anders. Die Einführung der Fallpauschalen brachte einen Einschnitt. Von 2003 an wurden stationäre Behandlungen ökonomisch standardisiert. Seit 2009 ist im ganzen Land der sogenannte Basisfallwert verbindlich. Für eine Operation bekommt die Klinik einen bestimmten Prozentsatz dieses Basisfallwertes – für einen Blinddarm einen niedrigeren, für einen Herzschrittmacher einen höheren.

Damit lohnt es sich für die Krankenhäuser nicht mehr, Patienten länger als nötig zu behalten. Wer fit genug ist, soll sein Bett für den nächsten Fall frei machen. Die Verweildauer der Patienten im Krankenbett verkürzte sich dramatisch, im Land von 2003 bis 2011 um 12,4 Prozent auf 7,8 Tage. Parallel dazu wuchs im gleichen Zeitraum die Zahl der Behandelten um 4,6 Prozent. Weil diese Entwicklungen nicht im Gleichschritt erfolgten, wurden Betten überflüssig und abgebaut, in dieser Zeit waren es rund 6500, mehr als zehn Prozent.

Kliniken stellen strategische Weichen

Die Kliniken stellten sich auf die neuen Bedingungen strategisch ein. Über den althergebrachten Versorgungsauftrag hinaus entspann sich ein Wettbewerb um lukrative Patienten.

In der Augenheilkunde scheint das offenbar schwierig zu sein. Sie wird verstärkt niedergelassenen Medizinern überlassen und überhaupt nur noch in 38 Kliniken (statt zuvor 48) angeboten, die Zahl der Patienten ging im Zeitraum von 2003 bis 2011 um 23,4 Prozent zurück – laut Zahlen des Statistischen Landesamtes. Noch dramatischer ist es bei der Frauenheilkunde, 29 Krankenhäuser gaben dieses Fach auf, die Patientinnenzahl sank um 52,2 Prozent.

Auf der anderen Seite boomt die Herzchirurgie. 2011 wurden von dieser Disziplin satte 66 Prozent mehr Patienten versorgt als noch 2003. Die klinischen Neurologen konnten im gleichen Zeitraum 45,8 Prozent mehr Patienten verbuchen.

Tomografen gefragt

Man investierte auch kräftig in werbewirksame, aber kostentreibende Techniken: 2011 gab es um 29,4 Prozent mehr Computertomografen im Land als 2003. Bei Kernspintomografen waren es 54,5 Prozent mehr, Linksherzkathetermessplätze sogar 71,2 Prozent. Keine Zahlen hat das Statistische Landesamt darüber, wie oft wer wem einen angesehenen Chefarzt abgeworben hat, um von dessen medizinischem Ruf zu profitieren.

Im Bundesvergleich sind die Zahlen indes bescheiden. Die Zunahme der Fallzahlen in Bezug zur Einwohnerzahl war im Land mit 3,4 Prozent unterdurchschnittlich, bundesweit betrug der Zuwachs 6,8 Prozent, in Hamburg sogar 13 Prozent. Vor diesem Hintergrund erklären die Klinikbetreiber im Land, ihre Einrichtungen seien im Schnitt so effizient wie keine anderen in der Republik. Ein Indikator dafür sind die Berechnungstage je 100 000 Einwohner. Die sind im Südwesten am niedrigsten, liegen um 14 Prozent unter dem Bundeswert. Deswegen sagen die Klinikträger, sie hätten keine weiteren Rationalisierungspotenziale, um Kosten einzusparen. Sie bräuchten mehr Geld, wenn sie nicht dauerhaft Verluste schreiben sollen.

Steter Investitionsstau

Der Geldwunsch wendet sich an beide Quellen. Für die Investitionen in Gebäude und Apparate ist das Land zuständig. Es fördert gegenüber anderen Ländern recht ordentlich. Von 2003 bis 2011 gab es insgesamt 2,9 Milliarden Euro. Grün-Rot hat die Zuwendungen erhöht. Das reicht immer noch nicht, um den Rückstau abzubauen, halten die Klinikbetreiber dagegen. Sie hätten schon in der Vergangenheit Investitionen aus Überschüssen finanzieren müssen.

Das weckt die Krankenkassen. Sie müssen die Kosten für die Behandlung ihrer Versicherten bezahlen. Wenn sich daraus Überschüsse erzielen lassen, könnte man da womöglich noch einsparen?

Oft finanzieren Kliniken Investitionen auch über Kredite. Die Zinskosten schlagen sich dann in ihrer Bilanz nieder, erzeugen oft erst ein Defizit. Das System Fallpauschale hat also manche Tücke.