Keine Anleitung für Azubis, keine Pause, keine Zeit für Hygiene: 25 Stationen aus vier befragten Krankenhäusern der Region sind nach Angaben der Gewerkschaft Verdi unterbesetzt. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Patienten.

Stuttgart - Stuttgart - Wie dick ist die Personaldecke der Krankenhäuser in der Region Stuttgart? Die Gewerkschaft Verdi hat die Gesundheits- und Krankenpfleger an vier Kliniken befragt. Aus 25 Stationen des Klinikums Stuttgart, des Robert-Bosch-Krankenhauses und der Krankenhäuser in Ludwigsburg und Bietigheim gibt es ernüchternde Antworten.

 

Am 25. des Monats ist das tariflich geregelte Arbeitsstunden-Soll der Beschäftigten von 39 Stunden pro Woche bereits erfüllt. Diese Bestandsaufnahme hat die Gewerkschaft zu ihrem Aktions-Motto geführt: „Das Soll ist voll“ steht auf Plakaten und Aufklebern, mit denen im September und Oktober das Problem benannt wird. Bundesweit beteiligen sich mehr als 100 Krankenhäuser an der Aktion, in der Region Stuttgart will die Gewerkschaft Verdi insgesamt 60 bis 70 Stationen befragen.

Station müsste eigentlich geschlossen werden

Das Ergebnis bisher: 25 Stationen haben nur 80 Prozent des nötigen Fachpersonals. Verdi-Bereichsleiter Volker Mörbe: „Vom 25. bis 30./31. des Monats müsste die Abteilung geschlossen werden. Stattdessen wägen die Pflegekräfte ab, wo sie Abstriche machen: bei der Anleitung der Auszubildenden, bei der Händedesinfektion, bei der Pause“. Volker Mörbe ist selbst Pflegefachkraft und weiß, dass auch die Erholungsphasen kurz sind, weil viele am freien Tag oder am Wochenende für kranke Kollegen einspringen. „Das Team übernimmt die Verantwortung, diese Entwicklung ist fatal“, sagt Gewerkschaftssekretär Marc Kappler.

Mit Aktionstagen steuert Verdi gegen. Am 12. September werden sich Pflegeteams aus Krankenhäusern in ganz Deutschland ordnungsgemäß die Hände desinfizieren und die nötige Zeit dafür einfordern, am 19. September halten sie ihre Pausen ein, im Oktober wollen sie sich darauf verabreden, nicht mehr für ausfallende Kollegen einzuspringen. „In dem Fall müssen die Geschäftsführer das fast doppelt so teure Leasingpersonal holen“, sagt Marc Kappler.

Beruf jahrelang „heruntergewirtschaftet“

Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ist ein Krankenpfleger an deutschen Kliniken für durchschnittlich 13 Patienten zuständig. Die Bundesrepublik bildet damit in der europäischen Vergleichsstudie der Stiftung das Schlusslicht. Laut Kappler habe sich das Pfleger-Patienten-Verhältnis verschlechtert, seit die Mindestversorgung auf den Stationen 1996 abgeschafft wurde. Die permanente Überforderung führe häufiger zu Erwerbsunfähigkeit, die Zahl der Berufsaussteiger wachse: „Im Schnitt sind Pfleger nur noch acht bis zehn Jahre im Beruf.“ Eine berufserfahrene Krankenpflegerin, die ihren Namen nicht nennen will, sagt: „Der Beruf wird seit mehr als zehn Jahren runtergewirtschaftet. Hätten wir ordentliche Arbeitsverhältnisse, würden mehr Leute in die Ausbildung kommen und im Beruf bleiben.“

Für Patienten ist weniger Hektik auf der Station gesünder: „Wenn wir sie mehr bewegen, nach OPs das Atmen üben, sie zur Toilette begleiten können, sinkt die Zahl der Embolien, der Lungen und Harnwegsentzündungen“, sagt die Pflegekraft.

Notfalls Streik um eine Mindestbesetzung

Der Zeitpunkt der Protestaktionen fällt nicht nur in den Bundestagswahlkampf, sondern auch mit Verhandlungen über Personal-Untergrenzen auf Stationen. Der Gesetzgeber fordert von Kassen und Kliniken bis Juni 2018 ein Ergebnis, doch die Beteiligten hätten sich bereits gegen verbindliche Vorgaben ausgesprochen. Verdi fordert deshalb gesetzliche Vorgaben. Bundesweit fehlen 70 000 Pflegekräfte in den Krankenhäusern, im Nachtdienst allein 20 000. Vier Milliarden Euro koste es, diese Lücke zu stopfen, rechnet Mörbe vor. Wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch den Beitrag zur Krankenversicherung um 0,1 Prozent erhöhen würden, „hätten wir das Geld“.

Das Klinikum Stuttgart bestätigt Probleme bei der Fachkräftesuche, vor allem für OP, Anästhesie, Pädiatrie und Gerontopsychiatrie. „In den vergangenen zwei Jahren ging die Bewerberzahl um ein Drittel zurück“, sagt Sprecherin Ulrike Fischer. Das Klinikum bemühe sich um Nachwuchs aus dem europäischen Ausland und die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen, „gleichzeitig muss die Politik aber die Ausbildung von Pflegekräften stärker fördern und die Finanzierung des Mehrbedarfs sicherstellen“. Entlastend wären auch Bürokratieabbau und Digitalisierung.

Die Universitätskliniken wünschen sich Haustarifverträge. So oder so – „wir müssen die Situation verbessern, damit nicht noch mehr weggehen“, sagt Kappler.